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Weitere Hinweise für die Konzeption von Pflichtenheften

In diesem Kapitel greife ich einige Spezialfragen auf, die sich häufig bei der Konzeption von Pflichtenheften stellen.

Spezifikationslücken

Ein lückenloses Pflichtenheft ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für einen Projektablauf ohne Streitigkeiten unter den Vertragsparteien. Es ist zwar kaum möglich, alle notwendigen Spezifikationen bereits im Pflichtenheft im Detail verbindlich anzugeben. Einzelne Anforderungen werden sich erst im Verlaufe der Projektentwicklung klären. Es gibt somit Positionen im Pflichtenheft, die mit Unsicherheiten behaftet sind. Wie begegnet man diesen?

Am besten behilft man sich damit, dass man die wahrscheinlichste Art der Ausführung so gut wie möglich beschreibt. Dies ist wesentlich besser, als gar keine Angaben zu machen. Von einer gesicherten, definierten Ausgangslage aus ist es relativ einfach, Projektänderungen vorzunehmen. Ärger dagegen ist vorprogrammiert, wenn man im Pflichtenheft gar keine Anhaltspunkte findet.

Es sind nicht bei allen Projekten die gleichen Bauteile empfindlich auf Aenderungen. Bei industriellen Bauvorhaben beispielsweise ist besondere Vorsicht angebracht bei der Medienversorgung von Betriebseinrichtungen oder bei Spezialfundamenten von schweren Maschinen. Generell anfällig auf Änderungen sind auch die Umgebungsarbeiten.

Bei fehlenden Spezifikationen für einzelne Bauteile wird sich der offerierende Totalunternehmer vermutlich damit behelfen, dass er einen sogenannten Budgetpreis (siehe «Budgetpreis») für die fragliche Position in seine Offerte aufnimmt. Sofern die Budgetpreise zusammengezählt nur einen kleinen Teil des Gesamtpreises ausmachen, ist dagegen nichts einzuwenden. Zu gross darf dieser Anteil aber nicht werden, weil sonst der Grundgedanke des Gesamtleistungsmodells allmählich ausgehöhlt wird.

Der Grundsatz, dass Werkverträge mit Pauschalpreisen auf lückenlos definierten Leistungen beruhen sollen, findet man auch in der SIA-Norm 118. Diese «Handwerkernorm» bezieht sich allerdings primär auf konventionelle Werkverträge mit Einzelunternehmern, weniger auf Totalunternehmerverträge. Aus ihr geht hervor, dass Pauschalpreise nur «auf Grund vollständiger und klarer Unterlagen (detaillierte Baubeschreibung, Pläne und dergleichen)» vereinbart werden sollen (Art. 40.2 SIA 118).

Energiekonzept

In den meisten Fällen verlangt die Bauherrschaft hinsichtlich des Energieverbrauchs nur, dass die gesetzlichen Anforderungen einzuhalten sind. Es ist aber denkbar, wesentlich anspruchsvollere Zielwerte vorzugeben und ins Pflichtenheft aufzunehmen. Ambitionierte (meist professionelle) Bauherrschaften arbeiten zu diesem Zweck vorgängig ein umfassendes Energiekonzept aus (siehe «Die traditionelle Planung auf den Kopf stellen?» im Abschnitt «Das Energiekonzept», Kapitel 9).

Eigenleistungen

Bei vielen Bauvorhaben werden gewisse Bestandteile des Projektes von der Bauherrschaft geliefert oder ausgeführt. Wir bezeichnen diese selbst erbrachten Leistungen als Eigenleistungen. Sie sind im Pflichtenheft für die Gesamtleistungsausschreibung genau zu bezeichnen. Art und Umfang der bauherrenseitigen Leistungen können je nach Projekt sehr unterschiedlich sein. Bei einem Einfamilienhaus beispielsweise sind die Malerarbeiten typische Eigenleistungen. Bei einem Verwaltungsgebäude ist es denkbar, dass sich die Bauherrschaft in eigener Verantwortung etwa um das Mobiliar kümmert.

Wir betrachten den Aspekt der Eigenleistungen vertieft am Beispiel der Betriebseinrichtungen einer Fabrik. Die Bauherrschaft beschafft einen unterschiedlich grossen Anteil davon häufig selber. Sie hat auf diesem Gebiet nämlich ein Know-how, das ein Dritter selten hat. Im Pflichtenheft sind die Grundsätze zu regeln, wie diesbezüglich die Aufgaben und Kompetenzen zwischen Totalunternehmer und Bauherr abgegrenzt werden. Denkbar ist folgendes Konzept:

 

  • Grundsatz 1

Alle Bauarbeiten werden im Normalfall durch den Totalunternehmer erbracht. Zu seinem Vertragsumfang gehören somit sämtliche Leistungen der Unternehmer, die üblicherweise dem Baugewerbe zugerechnet werden. Neben den eigentlichen Gebäudekosten (BKP 2) fällt auch ein grosser Teil der Betriebseinrichtungen (BKP 3) unter diese Definition (z. B. Medienversorgung von Maschinen).

 

  • Grundsatz 2

Fest eingebaute Betriebseinrichtungen werden auch durch den Totalunternehmer geliefert. Indem man diese Leistungen ins Totalunternehmerpaket integriert, reduziert man die Schnittstellen, die zwischen Bauherrschaft und Totalunternehmer definiert werden müssen. Ein Beispiel von fest eingebauten Betriebseinrichtungen sind Krane. Eine sinnvolle Vereinbarung kann darin bestehen, dass die Bauherrschaft die genauen Spezifikationen festlegt und der Totalunternehmer sich um alle übrigen Aspekte kümmert (Einkauf, Anschlüsse, Bewilligungen, Bauleitung etc.).

 

  • Grundsatz 3

Die Bauherrschaft beschafft nur das selber, worüber sie allein das Know-how hat. In diese Kategorie fallen in der Regel die (eher mobilen) Produktionsmaschinen (inkl. Steuerungen), aber auch einzelne festinstallierte Anlagen (z. B. für die Oberflächenbehandlung). Meistens liegen bei diesen Maschinen und Betriebseinrichtungen die schwierigsten planerischen Probleme des ganzen Projektes. Ein Beispiel einer festinstallierten Betriebseinrichtung ist eine automatisierte Lackieranlage. Es dürfte sinnvoll sein, dass die Bauherrschaft die technische Lösung bestimmt und die Anlage auch selber über das eigene Budget einkauft. Der Totalunternehmer kümmert sich um die bautechnischen Aspekte (Spezialfundament, Medienanschlüsse, Dachaufbauten etc.), holt Bewilligungen ein und leitet die Montage.

 

Gemäss diesen drei Grundsätzen beträgt der Anteil der Beschaffungen, die durch die Bauherrschaft selber getätigt werden und nicht Teil des Leistungsumfangs des Total-unternehmers sind, bei einer Maschinenfabrik etwa 20 bis 35% des gesamten Investitionsbetrages.

Risikofaktoren

Mit einem Totalunternehmer-Werkvertrag kann die Bauherrschaft bekanntlich die Risiken der Bauausführung minimieren. Die Erfahrung zeigt, dass in der Praxis zunehmend mehr Risiken von der Bauherrschaft auf den Totalunternehmer als Werkvertragspartner überwälzt werden.

Möglicherweise gibt es nun aber Elemente eines Projektes, wo die Risikoübernahme nicht von vornherein klar ist und wo im Rahmen der Vertragsverhandlungen eine massgeschneiderte Lösung gefunden werden muss. Es ist nützlich, diese Verhandlungspunkte im Pflichtenheft aufzulisten.

Ein verbreitetes Beispiel eines Risikofaktors ist der Baugrund. In den Allgemeinen Vertragsbedingungen zum VSGU-Mustervertrag ist festgehalten, dass der Generalunternehmer im Normalfall nur diejenigen Risiken des Baugrundes übernimmt, die aus den Vertragsunterlagen hervorgehen (Art. 13. 1 AVB). Oft stützt man sich dabei auf ein geologisches Gutachten.

Nun ist es so, dass die Beschaffenheit eines Baugrundes nie mit völliger Sicherheit aufgrund vorgängiger Untersuchungen prognostiziert werden kann. Ein Restrisiko bleibt immer. (Allerdings muss es nicht gleich die Tragweite der sogenannten Pioramulde im Gotthardmassiv haben, welche nicht unwesentlich über das Schicksal des neuen Basistunnels entschied). Bei einer gewöhnlichen Baugrube im Hochbau stellt sich etwa die Frage, wie gut einige ausgewählte Bodenproben eines geologischen Gutachtens die tatsächliche Beschaffenheit des Baugrundes wiedergeben. Es ist immer möglich, dass besonders ungünstige Zonen erst beim Aushub entdeckt werden oder dass ein Hang mehr rutscht, als ursprünglich angenommen worden ist.

Man kann sich durchaus einen Generalunternehmer-Werkvertrag vorstellen, bei dem alle Risiken des Baugrundes eingeschlossen sind. Dabei kommt der Generalunternehmer als Werkvertragspartner allerdings nicht darum herum, für die Abdeckung der Unwägbarkeiten eine gewisse finanzielle Reserve in den Werkpreis einzurechnen.

Will das die Bauherrschaft? Je nach ihrer Risikoneigung kann es für sie vorteilhafter sein, das Restrisiko des Baugrundes selber zu tragen. In diesem Fall wird für allfällige Baugrundverbesserungen lediglich ein Budgetpreis (siehe «Budgetpreis») in den Werkvertrag eingesetzt, im übrigen aber werden die Kosten nach Ergebnis abgerechnet.

Von den Grenzen des reinen Wettbewerbs der Ideen

Die Gesamtleistungsausschreibung soll ein Wettbewerb der Ideen sein. Die Grundidee des Verfahrens besteht darin, nur allgemeine Anforderungen zu formulieren und die Lösung sowenig wie möglich zu präjudizieren. In der Einleitung zum Teil III haben wir ein exemplarisches Beispiel eines derartigen offenen Pflichtenheftes betrachtet (Wohnsiedlung in Thun: «Projektoptimierung in radikaler Form»).

In der Praxis kommt man allerdings gelegentlich nicht darum herum, im Pflichtenheft bereits Elemente der Lösung ziemlich detailliert vorzugeben.

 

  • Regelung beim VSGU-Modell

Beim VSGU-Modell der Gesamtleistungsausschreibung ist ausdrücklich die Möglichkeit erwähnt, dass vor dem Totalunternehmerwettbewerb ein Ideenwettbewerb (unter Planern) durchgeführt werden kann. Das Resultat des Ideenwettbewerbs ist für die Totalunternehmer wegleitend. Sie müssen ihr Projekt somit auf einem bereits bestehenden «schematischen Vorprojekt» aufbauen (VSGU, Empfehlung, Seite 1).

Wenn allerdings bereits ein fertiges Projekt vorliegt (mit ausgearbeiteten Projektplänen), kann nicht mehr von einem Gesamtleistungswettbewerb gesprochen werden. Auch wenn der Generalunternehmer die Ausführungspläne selber erstellt, betrachtet man das Verfahren als reinen Preiswettbewerb.

 

  • Beispiel Fabrikneubau

Das andere einleitende Beispiel des Teils III (Fabrikneubau: «Ein Beispiel für die Praktikermethode») stellt das Gegenteil eines offenen Pflichtenheftes dar. Bei dieser Gesamtleistungsausschreibung nach der Praktikermethode wird die bauliche Konzeption des Fabrikprojekts durch das Pflichtenheft weitgehend vorbestimmt. Die Gesamtheit der Spezifikationen kann durchaus als «schematisches Vorprojekt» bezeichnet werden. Durch den Layout ist die Anordnung der Bauvolumen (Gebäudelänge und -breite, Stützenstellung) festgelegt. Der Spielraum für die Lösungssuche ist viel kleiner als bei einem normalen Architektenwettbewerb. Trotzdem bestehen noch erhebliche Freiheitsgrade für die Projektoptimierung. Sie beinhalten Aspekte wie Bauprozess, Statik, Gebäudehülle, Konzepte der Haustechnik und weitere mehr.

Wäre es nicht auch möglich, den Wettbewerb der Ideen auch bei einer Fabrik viel weiter zu fassen? Grundsätzlich steht dem nichts entgegen. An und für sich ist es denkbar, auch bei einem Industriebetrieb nur das absolute Minimum an Randbedingungen für die Gesamtleistungsausschreibung vorzugeben. Ein Gerüst an Eckdaten zu Herstellmengen, Technologien und Deckungsbeiträgen würde genügen, um eine Fabrik zu spezifizieren. Die betriebliche Lösung wäre in diesem Fall, wie es bei Logistikgebäuden der Normalfall ist, komplett dem Anbieter überlassen. Für die Bauherrschaft wäre es sehr aufschlussreich, unterschiedliche betriebliche Lösungskonzepte vergleichen zu können.

Diese radikale Art der Gesamtleistungsausschreibung mit minimalen Vorgaben scheitert nicht an theoretischen Erwägungen, sondern häufig an der fehlenden Zeit der firmeninternen Personen, die für die Betriebsplanung zuständig sind. Meistens wird die Betriebsplanung nämlich in enger Zusammenarbeit zwischen externen Planungsfachleuten und internen Spezialisten durchgeführt. Letztere sind oft Personen aus der Linienorganisation, die schon nur durch eine normale Betriebsplanung sehr stark belastet sind. Es wäre kaum denkbar, die betrieblichen Belange durch konkurrierende (externe) Teams gleich doppelt oder mehrfach zu untersuchen.

Die Lösung besteht daher oft darin, sich auf eine einzige Betriebsplanung zu beschränken und deren Resultate für die bauliche Projektentwicklung als zwingende Randbedingung fest vorzugeben.