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B. Die Praktikermethode

Das Modell der Gesamtleistungsausschreibung, das der Autor in der Praxis vorzieht, ist etwas anders konzipiert als das VSGU-Modell. Es ist im Umfeld der international tätigen Industrie entstanden mit ihrem unerbittlichen Konkurrenzkampf. Für das öffentliche Beschaffungswesen, das sich beispielsweise dadurch auszeichnet, dass dem nicht berücksichtigten Anbieter eine Rekursmöglichkeit gegen Entscheide zusteht, ist es nicht prädestiniert. Es ist ein Modell für Bauherren, die sich als Unternehmer verstehen und auch als Unternehmer handeln: intuitiv, pragmatisch, ergebnisorientiert.

Die Grundidee der Praktikermethode besteht darin, den Entscheid über die auszuführende Lösung erst auf der Basis von (meist zwei) ausgereiften Projekten zu fällen. Anhand eines Beispiels möchte ich illustrieren, was man darunter verstehen kann. Das Beispiel handelt in Asien, und es geht um Eisenbahnen, aber das ist von untergeordneter Bedeutung. Das Grundprinzip der Konkurrenz ausgereifter Projekte gilt auch für Bauobjekte in unserem Kulturkreis.

 

Das Grundprinzip der Konkurrenz von zwei ausgereiften Projekten

Anfang der neunziger Jahre beschliesst Südkorea, für eine wichtige Strecke eine Hochgeschwindigkeitseisenbahn zu bauen. Im Rahmen dieses Projektes sollen Züge vom Typ des TGV beschafft werden. In der engeren Wahl verbleiben zwei Anbieter: GEC-Alsthom aus Frankreich und Siemens aus Deutschland. 1992 beginnen die Verhandlungen mit diesen beiden Kandidaten. Die Koreaner ziehen alle Register der Verhandlungskunst, und die Anbieter legen alles in die Waagschale, über das sie verfügen. Die beiden Staatschefs Mitterrand und Kohl beehren Südkorea mit einem Besuch. Schwerpunkte der Verhandlungen sind unter anderem die Finanzierung sowie das Überlassen der gesamten Technologie. Natürlich spielt auch der Preis eine gewichtige Rolle. Die Franzosen beispielsweise müssen ihre ursprüngliche Offerte zunächst um 43% reduzieren, dann die «letzte» Offerte nochmals um 11%. Am 18. April 1994 schliesslich sind sie die Gewinner: für 2.1 Mrd. $ dürfen sie 46 Züge liefern.

(Quelle: Business Week, 28. November, 1994)

 

Die Praktikermethode zur Gesamtleistungsausschreibung im Bauwesen basiert in den Grundzügen auf der Konkurrenz von zwei ausgereiften Projekten gemäss dem erwähnten Beispiel.

 

  • Phase 1 (Vorauswahl)

Da der Hauptentscheid erst in der zweiten Phase fällt (wenn die Projekte ausgereift sind), können die Teilnehmer in der ersten Phase mit einem einfachen, summarischen Verfahren ausgewählt werden. Die Lösungsskizze braucht nur grob zu sein, da auch die allgemeine Leistungsfähigkeit der Bewerberfirma in die Beurteilung einbezogen wird. In erster Linie sollen zwei grundsätzlich fähige Anbieter bestimmt werden. Es werden jene Kandidaten ausgewählt, welche die besten Voraussetzungen haben, die von der Bauherrschaft angestrebte Lösung auch tatsächlich erreichen zu können.

Die Vorauswahl gleicht eher einem Evaluationsverfahren von Architekten für einen Direktauftrag als einem Architektenwettbewerb. Lösungsskizzen und Richtpreise genügen für die Auswahl. Das heisst nun aber nicht, dass die Kostenangaben der Anbieter als Hirngespinste und Schnellschüsse anzusehen sind. Es ist die Hauptaufgabe der Auswahlgremien, die Güte dieser skizzenhaften Angaben zu beurteilen. Dazu dienen etwa Besichtigungen, Kostenanalysen von Vergleichsobjekten, Befragungen von ehemaligen Kunden und dergleichen. Erfahrene Anbieter, die immer wieder ähnliche Bauprojekte bearbeiten, haben bei der Kostenermittlung einen grossen Erfahrungsschatz.

 

  • Phase 2 (Projektausarbeitung)

Die zwei ausgewählten Kandidaten der Vorauswahl erarbeiten je ein detailliertes Projekt. Diese Phase muss also zwingend mit zwei Teilnehmern und somit im Konkurrenzverhältnis durchgeführt werden. Die lauernde Konkurrenz sorgt für den nötigen Antrieb, damit die Anbieter ihr Potential auch tatsächlich ausschöpfen.

Das Angebot umfasst in der Regel ein komplettes Bauprojekt mit allen nötigen Plänen, einen Beschrieb der vorgesehenen Leistungen sowie eine verbindliche Kostenangabe. Der Vergleich der Offerten ist in der Regel alles andere als eine triviale Sache. Es gilt, unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten zu beurteilen sowie zu überprüfen, ob die Angebote vollständig sind. Oft ist diese Bereinigung ziemlich aufwendig. Grundlage für den Entscheid ist primär das Projekt an und für sich unter besonderer Berücksichtigung der Kosten. Die Leistungsfähigkeit der Firmen, die man nun wesentlich besser kennt, fliesst aber auch in die Beurteilung ein. Die Wahl des auszuführenden Projekts erfolgt erst am Ende der Phase 2.

Das Beispiel aus Südkorea (siehe oben) zeigt, dass es nichts Praktischeres gibt als Markt und Wettbewerb. Das ist die Art des Einkaufens, die ein Investor gerne hat.

Wann ist die Praktikermethode des Autors geeignet?

Beim Verfahren, das in diesem Buch beschrieben wird, erfolgt die Auswahl der Totalunternehmer in der Phase 1 relativ summarisch. Dies bedingt, dass die Bauherrschaft bereits recht genau weiss, was sie bauen will. Es braucht also eine vorausgehende Projektdefinition, die das Bauprojekt in den Grundzügen definiert.

Bei weniger klaren Bauaufgaben ist es dagegen angezeigt, eher das VSGU-Modell der Generalunternehmer zu wählen, das dem traditionellen Architektenwettbewerb verwandt ist. In der nachfolgenden Tabelle sind für beide Verfahren einige Beispiele aufgeführt.

 

Eignung der zwei Varianten der Gesamtleistungsausschreibung
Anwendungsbeispiele

A. Anwendung der Praktikermethode möglich
Voraussetzung: Bauaufgabe klar definiert (Projektdefinition durchgeführt)

Beispiele:

  • Neubau einer Fabrikhalle von 120 m Länge und 40 m Breite
  • Neubau eines Einfamilienhauses mit 120 m2 Nettowohnfläche
  • Neubau von 10 Reihenhäusern mit einer Grundfläche von je 5 x 10 m
  • Neubau von drei Wohnblocks mit definierten Wohnungen (inkl. Preise)
  • Sanierung von Dach und Fassade eines Wohnblocks
  • Anbau von 20 m Länge an eine bestehende viergeschossige Fabrik
  • Neubau eines fünfgeschossigen Gewerbehauses

B. Anwendung des VSGU-Modells eher angezeigt
Merkmal der Bauaufgaben: Lösungsspektrum sehr breit

Beispiele:

  • künstlerisch hochstehende Bauten (Museen, Kirchen etc.)
  • Ueberbauungen von ganzen Arealen mit unterschiedlichen Nutzungen
  • Bauaufgaben mit vielen ganz unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten

Hinweis: bei öffentlichen Bauvorhaben ist das VSGU-Verfahren der Normalfall

Ein Beispiel für die Praktikermethode (Fabrikneubau)

Beim Beispiel handelt es sich um einen Fabrikneubau, bei dem die Firma des Autors mit der bauherrenseitigen Projektleitung betraut worden ist. In einer deutschen Wirtschaftszeitung ist darüber ein Erfahrungsbericht erschienen (Handelsblatt, Düsseldorf und Frankfurt; Nr. 143/37 vom 27. Juli 1994).

 

  • Ausgangslage

Bauherr ist ein international tätiges Unternehmen auf dem Gebiet der Hochspannungstechnik, das im Elsass ein Zweigwerk unterhält. Hier soll auf einer Freifläche des geräumigen Firmengeländes, also auf der «grünen Wiese», ein Fabrikneubau errichtet werden. Die eigenen Planungsfachleute des Auftraggebers wollen sich auf die anspruchsvolle Betriebsplanung konzentrieren und mit dem baulichen Teil des Projektes sowenig wie möglich zu tun haben. Um die Risiken klein zu halten, will man das gesamte bauliche Leistungspaket aus einer Hand bestellen. Da bei der Beschaffung der Markt trotzdem intensiv spielen soll, drängt sich das Verfahren der Gesamtleistungsausschreibung geradezu auf.

Die Produktion in der neuen Fabrik ist sehr materialflussintensiv. Die hergestellten Produkte sind gross und schwer. Der Materialfluss prägt die bauliche Struktur in hohem Masse. Das Gebäude ist somit keineswegs eine nutzungsneutrale Mehrzweckhalle, sondern eine Massanfertigung, die genau auf die betrieblichen Abläufe abgestimmt ist. Aus diesem Grund plant man die betrieblichen Belange vor der Ausschreibung des baulichen Teils intensiv und gibt den Detaillayout als Randbedingung für die Bauplanung vor. Die massgeblichen geometrischen Abmessungen sind dadurch bestimmt (Gebäudelänge, Stützenstellung, lichte Raumhöhen, Kranhakenhöhen etc.). Die Freiheitsgrade der baulichen Lösungen beschränken sich auf Aspekte wie Statik, Gebäudehülle, Konzepte der Haustechnik, Bauprozess und dergleichen.

 

  • Pflichtenheft

Das Pflichtenheft für die Gesamtleistungsausschreibung wird von der Projektleitung in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsplanungsteam erstellt. Es besteht aus einem Textdokument, Plänen (detaillierter Layoutplan, Schemaschnitt und Situationsplan) und einigen Beilagen (z. B. geologisches Gutachten). Durch die Beschränkung auf das wirklich Nötige kommt das keinesfalls unvollständige Pflichtenheft auf einen Textumfang von weniger als 15 Seiten.

 

  • Phase 1 (Vorauswahl)

Bei der Vorauswahl geht die Bauherrschaft sehr pragmatisch vor. Sie verzichtet auf eine (öffentlich ausgeschriebene) Prä-qualifikation und nimmt von sich aus mit einigen Firmen Kontakt auf, die ihr grundsätzlich geeignet erscheinen. In erster Linie geht es ihr darum, diejenigen herauszufinden, die vertraut sind mit vergleichbaren industriellen Bauaufgaben und erwiesenermassen kostengünstig bauen können. Die Kandidaten werden ersucht, für das aus der Projektdefinition bereits recht konkrete Bauvorhaben einen Richtpreis anzugeben. Die Bauherrschaft bespricht diesen mit den Anbietern gründlich. Zusätzlich führt sie Besichtigungen von ausgeführten Projekten durch und unterhält sich mit ehemaligen Kunden. Aufgrund dieser Grundlagen wählt sie zwei Kandidaten für die zweite Phase aus.

 

  • Phase 2 (Projektausarbeitung)

Während der eigentlichen Projektausarbeitung betreut die Bauherrschaft beide Projektteams intensiv. Resultat dieser zweiten Phase sind zwei detailliert ausgearbeitete Bauprojekte mit allen Angaben, die die Bauherrschaft für ihren Entscheid benötigt. Zentrales Entscheidungskriterium ist der Preis.

Nach intensiven Verhandlungen wird mit dem Gewinner der Ausschreibung ein Vertrag abgeschlossen. Das Vertragswerk beinhaltet in einem einzigen Dokument die schlüsselfertige Ausführung des Gebäudes einschliesslich der vereinbarten Betriebseinrichtungen (Krane etc.). Auch alle Planungsleistungen sind darin enthalten, mit Ausnahme der Entschädigung für die Projektausarbeitung (Phase 2). Für die Preisbestimmung wird das Verfahren der offenen Abrechnung mit Kostendach gewählt. Die Bauherrschaft profitiert somit von einer Unterschreitung des Kostendaches.