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VSGU-Standesregeln gegen einseitige Risikoübernahme

Kehren wir nach diesem Abstecher zu Louis Favre wieder zurück in die Gegenwart. Dürfen wir erwarten, dass sich die Zeiten geändert haben und die Werkunternehmer im Bauwesen und insbesondere die Generalunternehmer nicht mehr über ruinöse Vertragsbedingungen klagen?

Dies ist nicht der Fall. Die Spezialisten des Risikomanagements im Hochbau, die Generalunternehmer, sind der Meinung, dass immer mehr Risiken auf sie überwälzt werden. Deren Ausmass sei deshalb zu begrenzen. Das Mittel dazu sind Standesregeln im Zusammenhang mit der Risikoübernahme, die 2009 verabschiedet worden sind. (Quelle: «40 Jahre erfolgreich» – Jubiläumsausgabe: 40 Jahre VSGU Verband Schweizerischer Generalunternehmer – Beilage zu «die baustellen» und «intelligent bauen»; 2010).

Bei einer ersten Durchsicht der Liste (siehe unten) können wir feststellen, dass mindestens einer der Punkte, die Louis Favre beim Bau des Gotthardeisenbahntunnels zum Verhängnis geworden sind, aufgeführt ist: unlimitierte Konventionalstrafen bei Terminen. Derartige Risiken sollen von den VSGU-Mitgliedern nicht mehr vorbehaltlos akzeptiert werden.

Im Verlaufe der Besprechung einzelner Risiken und Garantien im Rahmen dieses Kapitels 9 «Bewirtschaftung der Risiken» werden wir auf einige ausgewählte Punkte auf der Liste der Standesregeln zurückkommen.

Einheitliche Vertragsbedingungen gemäss Standesregeln VSGU (genehmigt anlässlich der Generalversammlung vom 12. Juni 2009)

1. Eigentümerrisiken
— Baugrund / Altlasten
— Asbest / PCB
— Planungshaftung für vorbestandene Planungsfehler

2. Im Werkpreis inbegriffene Leistungen
— Wegbedingung von OR 373, Abs. 2/SIA Norm 118, Art. 59
— Umfassende Komplettheitsklausel

3. Mängelhaftung
— Jederzeitiges Rügerecht während 5 Jahren (bzw. innert 3 Monaten nach Entdeckung bei verdeckten Mängeln)

4. Sicherheitsleistung
— Erfüllungsgarantie höher als 10% oder länger als 4 Monate über Bauvollendung hinaus

5. Unvorhergesehenes
— Bei Vertragsabschluss nicht bekannte behördliche Auflagen und Gesetzesänderungen

6. Termine
— Unlimitierte Konventionalstrafen
— Konventionalstrafen auf Zwischenterminen

Ergänzend zu den oben aufgeführten Standesregeln in Listenform gibt es noch ein ausführlicheres Argumentarium zu den Standesregeln mit einem Umfang von sieben Seiten. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Buches (2012) ist das Argumentarium auf der Website des VSGU verfügbar gewesen. Da es davon keine gedruckte Version gibt, wird darauf verzichtet, es im Literaturverzeichnis aufzuführen.

Analogie Finanzindustrie

Die Vermeidung der Übernahme übermässiger Risiken erinnert uns ein wenig an eine ganz andere Branche, nämlich an die Finanzindustrie, die in der Zeit um 2008 in eine existenzbedrohende Krise geraten ist. Einer der auslösenden Faktoren dieser Krise ist die Übernahme übermässiger Risiken durch einzelne Akteure gewesen. Die weltgrösste Versicherungsgesellschaft American International Group AIG in den USA beispielsweise hat vom Staat gerettet werden müssen. Auch die grösste Bank der Schweiz, die UBS, hat Staatshilfe gebraucht, weil sie zu riskante Geschäfte eingegangen ist.

Zur Notwendigkeit von Standesregeln zur Vermeidung einseitiger Risiken

Es liegt auf der Hand, dass die Generalunternehmer sich hüten müssen, zu viele Risiken einzugehen. Louis Favre wäre möglicherweise nicht Konkurs gegangen, wenn er im Rahmen seines Werkvertrages mit der Bauherrschaft für den Gotthardeisenbahntunnel seine Risiken hätte begrenzen können. Es ist aber eine andere Frage, ob es zur Begrenzung der Risiken Standesregeln braucht. Immerhin hat jeder anbietende Generalunternehmer die Möglichkeit, von einem Vertrag Abstand zu nehmen, wenn für ihn das Verhältnis zwischen Ertragsmöglichkeiten und Gefahren aufgrund seiner Risikoexposition nicht stimmt. In der Praxis geschieht dies auch immer wieder. Ein Beispiel dafür ist die weiter vorne besprochene Generalunternehmer-Ausschreibung für das INO-Projekt des Berner Inselspitals. Weil sich die meisten potentiellen Anbieter nicht zu einem Angebot haben entschliessen können, ist nur eine einzige (teure) Offerte eingegangen. Die Bauherrschaft ist dann mit dem ernsthaften Problem konfrontiert gewesen, aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen.