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Reservegefäss C: Verdeckte Reserven (Ausmassreserven)

Die verdeckten Reserven sind direkt bei den einzelnen Positionen (Arbeitsgattungen) des Kostenvoranschlags eingebaut (z.B. bei der Arbeitsgattung Baumeisterarbeiten). Sie sind in der Regel nur für die Bauleitung sichtbar, nicht aber für die Bauherrschaft. Sie entstehen, indem die Verfasser der Leistungsverzeichnisse bei den Vorausmassen gewisse Reserven vorsehen (Ausmassreserven). Das Bilden von Ausmassreserven entspricht einer alten Tradition vorsichtiger Baufachleute.

Mir ist keine SIA-Norm bekannt, welche die Höhe der Ausmassreserven regelt. In den SIA-Honorarordnungen 102 ff. findet man dazu keine Aussagen, anders als zum Genauigkeitsgrad (Toleranzband) des Kostenvoranschlags. Lediglich die Schweizerische Zentralstelle für Baurationalisierung äussert sich zu den Ausmassreserven, allerdings ziemlich vage: «Bei diesen Vorausmassen ist es nicht unüblich, eine gewisse Reserve einzubauen, doch sollte diese 5% nicht überschreiten» (CRB, Bauleistungen beschreiben und Baukosten ermitteln; Seite 101).

Bei den meisten Positionen in den Leistungsverzeichnissen lassen sich die Vorausmasse genau ermitteln. Hier betragen die Ausmassreserven, falls nicht ganz darauf verzichtet wird, einige wenige Prozent (zum Beispiel zwei Prozent). Es gibt aber auch Positionen, wo keine genaue Ermittlung möglich ist (Aushub, Felsabbau, Pfählungen, Arbeiten an bestehenden Bauteilen etc.). Hier versucht die Bauleitung oft, bei der vorgängigen Abschätzung der Mengen auf der sicheren Seite zu sein, indem sie eher üppige Ausmassreserven schafft (z.B. 10%). Aber auch so kann sie nicht garantieren, dass die budgetierten Werte ausreichen werden. Kleinere Projektrisiken können mit den Ausmassreserven vermutlich abgedeckt werden, grössere aber wohl kaum. Es ist daher angebracht, für Projektrisiken zusätzliche offene Reserven bereitzustellen. Siehe dazu die Ausführungen zu «Unvorhergesehenes (offene Reserven)».

In der nachfolgenden Liste sind einige Beispiele von Mängeln und Ungenauigkeiten in Leistungsverzeichnissen aufgeführt, die oft aus dem Reservegefäss der verdeckten Reserven (Ausmassreserven) alimentiert werden.

Beispiele von Mängeln und Ungenauigkeiten in Leistungsverzeichnissen

Beispiel a: Die spezifizierten Leistungen (Bauarbeiten) können nicht in der vorgesehenen Form ausgeführt werden.
Dieser Fall kann etwa bei Gipserarbeiten für ein Sanierungsprojekt eintreten. Die Gipserarbeiten in historischer Umgebung sind in Tat und Wahrheit deutlich aufwendiger als angenommen, und es sind mehr Vor- und Nebenarbeiten erforderlich als ausgeschrieben.
Die Mehrkosten bei einem derartigen Mangel des Leistungsverzeichnisses können erheblich sein. Mir ist ein Projekt bekannt, bei dem die abgerechneten Kosten mehr als doppelt so hoch gewesen sind wie die budgetierten Kosten in Kostenvoranschlag und Werkvertrag.

— Beispiel b: Die Vorausmasse sind fehlerhaft zu tief.
Es kann passieren, dass dem Ersteller des Leistungsverzeichnisses bei einer Leistungsposition mit einer grossen Anzahl von Einzelflächen resp. Einzelvolumen bei der Ermittlung des Vorausmasses ein Fehler passiert. Beispiel: Vorausmass für die Fläche der Wärmeisolation bei einem grossen Geschäftshaus (bei der Erstellung des Vorausmasses wird eine Wandfläche vergessen).

— Beispiel c: Das Vorausmass kann nicht zuverlässig ermittelt werden.
Es gibt Positionen, bei denen die Vorausmasse nicht zuverlässig ermittelt werden können, selbst wenn nichts Unvorhergesehenes (kein Projektrisiko) eintritt. Erst im Verlaufe der Bauausführung ergibt sich, dass die effektiven Mengen höher sind als die Vorausmasse.
Beispiele: Aushub, Umgebungsarbeiten

— Beispiel d: Eine Position wird vergessen.
Ein Leistungsverzeichnis einer bestimmten Arbeitsgattung besteht teilweise aus Hunderten von Positionen (Gipserarbeiten, elektrische Installationen etc.). Es kann geschehen, dass die Hauptpositionen zwar erfasst sind, aber notwendige Neben- oder Zusatzarbeiten teilweise fehlen.

— Beispiel e: Probleme an der Schnittstelle zwischen Arbeitsgattungen.
Nehmen wir an, es geht um eine vorgehängte Fassade mit Sonnenstoren. Sowohl die Leistungsverzeichnisse der Fassade wie der Sonnenstoren sind mängelfrei. An der Schnittstelle zwischen den zwei Arbeitsgattungen gibt es jedoch ein Koordinationsproblem, welches zu Mehrkosten führt. Es kann sich dabei um fehlende Aussparungen für Storenmotoren handeln oder um fehlende Durchführungen für die Verlegung der Kabel.
  • Aspekte der Finanzierung von Mängeln in Leistungsverzeichnissen

Häufig wird angestrebt, Mängel und Ungenauigkeiten in Leistungsverzeichnissen mit den Ausmassreserven (verdeckten Reserven) auszugleichen. Die Bauherrschaft merkt somit gar nicht so viel von ihnen. Erst wenn die finanziellen Folgen der Mängel und Ungenauigkeiten ein gewisses Mass überschreiten (ein krasser Fall ist das Beispiel a in obiger Liste), wird die Angelegenheit der Bauherrschaft unterbreitet. Es ist denkbar, dass dann die offenen Reserven zur Finanzierung herangezogen werden müssen.

  • Eigene Erfahrungen mit den Ausmassreserven

Als ich vor Jahrzehnten das Handwerk des Bauleiters gelernt habe, habe ich die Ausmassreserven geschätzt. Sie sind meine persönliche Jongliermasse gewesen. Teilweise ist nicht einmal mein Chef über sie im Bild gewesen. Sie haben mir erlaubt, eigene Fehler der Bauleitung, die unweigerlich eingetreten sind, wieder auszubügeln, ohne viel Staub aufzuwirbeln.

Eine Nebenarbeit im Leistungsverzeichnis vergessen? Macht nichts, ich habe ja noch die Ausmassreserve (!). Unter dem Radar jeder Kontrolle sind sie meine private Reserve gewesen, die mir das Leben auf der Baustelle ungemein erleichtert hat.

Reservegefäss D: Bauherrenreserve

Es ist zu empfehlen, dass sich die Bauherrschaft eine Reserve hält für allfällige Zusatzwünsche, die im Verlaufe der Projektrealisierung unweigerlich auftauchen. Diese Zusatzbestellungen basieren nicht auf Projektrisiken wie etwa mangelhafter Baugrund oder mangelhafte bestehende Bausubstanz, die aus der KV-Position «Unvorhergesehenes (offene Reserven)» alimentiert werden. Die Bauherrenreserve für Zusatzbestellungen, die der Erfüllung völlig freier Wünsche der Bauherrschaft dient, ist vielfach unsichtbar für die Planerorganisation und somit auch nicht im Kostenvoranschlag enthalten.

Erfahrungsgemäss ergibt sich aber häufig ein Dialog darüber, ob einzelne dieser völlig freien (nicht risikobedingten) Zusatzwünsche der Bauherrschaft allenfalls doch über die offenen Reserven finanziert werden könnten. Die Bauherrschaft möchte diese Reserve anzapfen, der Architekt sträubt sich in aller Regel dagegen, und zwar mit gutem Grund. Die offenen Reserven sind primär dafür da, die Risiken der Bauausführung zu bewirtschaften. Erst wenn sich im Verlauf der Bauausführung zeigt, dass man Glück hat und die Reserven nicht völlig beanspruchen muss, können sie anderweitig benutzt werden.

Die Abgrenzung zwischen völlig freiem Bauherrenwunsch und risikobedingter Zusatzbestellung ist in der Praxis nicht immer einfach zu bewerkstelligen. Wir wollen dazu ein Beispiel betrachten. Nehmen wir an, bei einer Fassadensanierung steigt während der Bauarbeiten der Heizkessel aus und muss ersetzt werden. Der Bauherr schaut nun in den Statusbericht der Kostenüberwachung und stellt fest, dass dort noch erhebliche offene Reserven brachliegen. Obwohl es überhaupt keinen kausalen Zusammenhang gibt zwischen dem defekten Heizkessel und der Fassadensanierung, stellt er den Antrag, diesen über den Kostenvoranschlag zu finanzieren. Vermutlich wird sich der Architekt gegen dieses Anliegen wehren, da die KV-Position «Unvorhergesehenes (offene Reserven)» dafür vorgesehen ist, die Risiken der Bauausführung abzudecken.

Es gibt in der Praxis noch einen weiteren Anlass, der zu Diskussionen darüber führen kann, ob eine Kostenposition über die offenen Reserven finanziert werden darf oder nicht. Gelegentlich wird zum Zeitpunkt der Erstellung des Kostenvoranschlags nämlich nicht bis ins letzte Detail geklärt, wo genau die Schnittstellen sind zwischen Baubudget (Kostenvoranschlag) und davon unabhängigen Budgets der Bauherrschaft (zum Beispiel Budget für Betriebseinrichtungen oder Budget für Unterhalt der Infrastruktur). Es kann nun der Fall eintreten, dass man während der Bauausführung auf eine Kostenposition stösst, die nicht im Kostenvoranschlag enthalten ist, bei der die Bauherrschaft aber angenommen hat, dass sie dort aufgeführt sei. Die Bauherrschaft kann nun den Wunsch äussern, die fragliche Position nachträglich in den Kostenvoranschlag aufzunehmen, ohne dessen Summe zu erhöhen (also ohne eine Zusatzbestellung auszulösen). Finanztechnisch erreicht man dies über eine Finanzierung aus den offenen Reserven.

Anmerkung: Reservegefäss Vergabeerfolge

Manchmal wird noch ein eher sekundäres zusätzliches Reservegefäss geführt, das aber erst nach den ersten Arbeitsvergaben und somit nach dem Baubeginn zum Tragen kommt. Es handelt sich um das Reservegefäss der Vergabeerfolge. Wenn beispielsweise bei den elektrischen Installationen die Vergabesumme kleiner ist als der entsprechende KV-Betrag, wird der Vergabeerfolg ins Konto der Vergabeerfolge transferiert. Wenn die Summe auf dem Konto gross genug ist, werden daraus oft Zusatzwünsche der Bauherrschaft finanziert.

Aber Achtung! Es ist keineswegs gesagt, dass es überhaupt Vergabeerfolge gibt. Man erlebt immer wieder, dass man Vergabemisserfolge hinnehmen muss (die Vergabesummen sind höher als die KV-Beträge). Man muss dann Mittel und Wege finden, um diese finanzieren zu können (beispielsweise aus den offenen Reserven).

Zusammenfassung: Finanzierung der Mehrkosten aus den Reservegefässen

In der nachfolgenden Darstellung sind die wichtigsten Zusammenhänge zwischen auftretenden Mehrkosten und Reservegefässen zu ihrer Finanzierung nochmals dargestellt. Die beschriebene Zuordnung der Mehrkosten auf die Gefässe mit finanziellen Reserven beruht auf meinen Praxisbeobachtungen. Ich möchte aber nicht so weit gehen und behaupten, dass es sich dabei um eine einheitliche, gesicherte Praxis handelt. Teilweise dürfte vermutlich ebenfalls die Meinung vertreten werden, dass das Toleranzband des Kostenvoranschlags auch dazu dient, Projektrisiken abzudecken.

Finanzierung der Mehrkosten aus den Reservegefässen

Wenn der Kostenvoranschlag sein Toleranzband verliert

Ich habe gelegentlich die Erfahrung gemacht, dass die Bauherrschaft von der Vorstellung ausgeht, dass der Kostenvoranschlag eingehalten wird, ohne dass das Toleranzband beansprucht wird. Wenn der Kostenvoranschlag zum Zeitpunkt der Baueingabe beispielsweise 5.2 Mio. Fr. beträgt mit einer Genauigkeitsangabe von +/– 10%, dann erwartet der Bauherr somit, dass die Schlussabrechnung den Betrag von 5.2 Mio. Fr. nicht übersteigt. Die KV-Summe wird somit faktisch zu einer Kostenlimite. Meistens erfolgt die Kundgabe dieser Erwartung unverbindlich oder sogar stillschweigend, teilweise aber auch verbindlich. Von einer verbindlichen Kundgabe ist dann auszugehen, wenn die von der Bauherrschaft bereitgestellten finanziellen Mittel (Eigen- und Fremdmittel) gerade so hoch sind wie der Kostenvoranschlag, und zusätzliche Mittel nur schwer beschafft werden können. Dann bleibt den Planern gar nichts anderes übrig, als mit dem vorhandenen Geld auszukommen.

Aber auch wenn die Kostenvoranschlagssumme keine verbindliche Limite darstellt, schätzen viele Bauherren eine Überschreitung nicht. Sie haben in der Regel nur die KV-Summe ohne Toleranzzuschlag zur Verfügung. Bei einer Überschreitung müssen sie bei der finanzierenden Stelle zusätzliche Mittel beantragen, was sie meistens nur ungern tun.

Ist es möglich, das Projekt innerhalb des Kostenvoranschlags abzurechnen, ohne das Toleranzband zu beanspruchen? Die Praxis zeigt, dass es vielfach klappt, weil die finanziellen Gegebenheiten gar kein anderes Resultat zulassen. Es sollten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein, damit das Ziel erreicht werden kann.

  • Voraussetzung 1: Positive Kostenprognose zum Zeitpunkt Baubeschluss

Der Kostenstand zum Zeitpunkt des Baubeschlusses wird in der Regel als revidierter Kostenvoranschlag bezeichnet (siehe Abschnitt «Revidierter Kostenvoranschlag»). Beim dort beschriebenen Beispiel liegen bereits für zwei Drittel der Arbeiten konkrete Marktofferten vor. Der aktuelle Kostenstatus ergibt einen prognostizierten Abrechnungsbetrag, der rund 6 000 Fr. unter der KV-Summe liegt (siehe Tabelle hier). Das ist ein gutes Zeichen. Es sieht so aus, dass man die bereits ausgeschriebenen Arbeitsgattungen unter den KV-Beträgen wird vergeben können.

Wenn die prognostizierte Abrechnungssumme zum Zeitpunkt Baubeschluss über der KV-Summe liegen würde, wäre dies eindeutig ein Alarmsignal. Dann käme man vermutlich nicht darum herum, das Projekt nochmals zu überarbeiten und den Kostenvoranschlag zu redimensionieren.

  • Voraussetzung 2: Ausmassreserven vorhanden

Mit der nun beginnenden Bauausführung treten möglicherweise eine ganze Reihe von Störfaktoren auf, die das sorgfältig geplante Kostengefüge beeinträchtigen können. Vielleicht zeigt sich bei den bisher noch nicht ausgeschriebenen Umgebungsarbeiten, dass sie teurer sind als der vorgesehene KV-Betrag. Oder der Baumeister ist der Meinung, dass eine von ihm zu leistende Arbeit in seinem Leistungsverzeichnis nicht enthalten sei, und er stellt dafür eine Nachforderung. Bei der Aussenisolation stellt sich heraus, dass der Bauleiter beim Erstellen des Vorausmasses eine Wand vergessen hat, wodurch die Schlussabrechnung höher wird als die Bestellung. – Alle diese Vorkommnisse sind nicht ungewöhnlich und nicht völlig zu verhindern. Sie reflektieren den Alltag des Bauens.

Mit den Ausmassreserven können die Störfaktoren bis zu einem gewissen Grad neutralisiert werden. Wie wir oben festgehalten haben, sind sie ein verdecktes Reservegefäss, um Mängel bei der Ausschreibung und kleinere Projektrisiken auszugleichen.

Man sollte die ausgleichende Wirkung der Ausmassreserven nicht unterschätzen. Nehmen wir an, die Ausmassreserve beträgt 2% bei den gut erfassbaren Positionen (z.B. Mauerwerk) und 10% bei den risikobehafteten Positionen (z.B. Pfahlfundation). Gesamthaft ergibt sich ein Mittelwert, den wir mit 2.5% annehmen. Beim Beispiel im nächsten Abschnitt mit einem Kostenvoranschlag von 916 500 Fr. betragen die Ausmassreserven in absoluten Zahlen somit rund 23 000 Fr., was nicht viel weniger ist als die Summe der offenen Reserven von 30 000 Fr. für Projektrisiken.

  • Voraussetzung 3: Genügend Reserven für Projektrisiken

Das Wetter ist ein typisches Projektrisiko. Im Winter ist es so kalt, dass die Bauarbeiten unterbrochen werden müssen. Um den Rückstand wieder aufzuholen, fallen Mehrkosten an (z.B. Samstagsarbeit oder zusätzlicher Kran). Auch der Baugrund birgt Risiken. Wenn man beim Aushub für die Kanalisation auf einen Findling stösst, gehört das zum «Unvorhergesehenen».

Im Kostenvoranschlag des oben erwähnten Beispiels sind, wie bereits gesagt, 30 000 Fr. Reserven eingeplant. Wenn dies ausreicht, um die Projektrisiken abzudecken, ist eine weitere Voraussetzung erfüllt, damit der Kostenvoranschlag eingehalten werden kann, ohne das Toleranzband beansprucht zu müssen.

Wir halten zusammenfassend fest, dass es durchaus möglich ist, ein Projekt innerhalb des Kostenvoranschlags abzurechnen, ohne das Toleranzband zu beanspruchen. Folgende Bedingungen sollten aber erfüllt sein: (1) die Kostenprognose beim revidierten Kostenvoranschlag (Zeitpunkt Baubeschluss) muss positiv sein, (2) es sind Ausmassreserven in vernünftigem Umfang vorhanden und (3) die offenen Reserven für Projektrisiken sind adäquat dotiert.