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Pflichtenheft bei der Totalunternehmersubmission

Bei allen Bauvorhaben muss das Projekt am Anfang von der Bauherrschaft in den Grundzügen festgelegt werden. Diese erste wichtige Tätigkeit bezeichnet man als Projektdefinition. Resultat der Projektdefinition ist das Pflichtenheft.

Ganz generell sind Pflichtenhefte gesamtheitliche Vorgaben der Bauherrschaft für die bauliche Projektentwicklung. Die Spezifikationen im Pflich-tenheft beruhen auf sorgfältig abgeklärten Anforderungen. Je nach Projekt handelt es sich dabei um Bedürfnisse eines anonymen Marktes (etwa bei Mietobjekten) oder eines bereits bekannten Nutzers (beispielsweise bei einem Fabrikneubau). Zentrales Element des baulichen Pflichtenhefts ist das Raumprogramm (Verzeichnis der benötigten Räume). Das Pflichtenheft enthält aber auch Aussagen über den Ausbaustandard, den Unterhalt, den Energieverbrauch und weiteres mehr. Grundlage der Projektdefinition sind Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit.

In den meisten Fällen werden Pflichtenhefte angefertigt im Hinblick auf die Projektabwicklung mit dem traditionellen Architektenverfahren. Pflichtenhefte dienen hier lediglich als Ausgangslage für die Planungsarbeit. Anders ist es bei der Totalunternehmersubmission. Hier ist das Pflichtenheft die Grundlage für das Angebot einer Werkvertragsleistung: Das Gebäude wird vom Teilnehmer der Submission zuerst geplant und anschliessend in der Form einer Totalunternehmerofferte angeboten.

Pflichtenhefte für die Totalunternehmersubmission unterscheiden sich daher von normalen Pflichtenheften, wie sie bei der traditionellen Projektabwicklung erstellt werden. Sie sind nicht nur die Grundlage für die Planungsarbeit, sondern gleichzeitig auch die Basis für das Werkvertragsangebot. Sie müssen somit umfassender konzipiert sein. Die Gesamtheit der verlangten Leistungsmerkmale des Bauobjekts muss in ihnen festgehalten sein.

Pflichtenhefte für Totalunternehmersubmissionen unterscheiden sich aber auch deutlich von Pflichtenheften für Generalunternehmersubmissionen. Dort ist die Ausführung eines kompletten Gebäudes in allen Einzelheiten spezifiziert. Hilfsmittel dazu sind primär Vertragspläne und der Baubeschrieb. Jede Arbeitsgattung und jeder Raum ist definiert. Dies alles fehlt bei der Totalunternehmersubmission. Weil das Projekt noch gar nicht ausgearbeitet ist, können weder einzelne Räume noch Konstruktionen beschrieben werden.

Von der richtigen Dosierung der Vorgaben

Bei der Totalunternehmersubmission muss der angestrebte Standard des Bauvorhabens bei allen relevanten Aspekten definiert werden. Im Hinblick auf einen möglichst grossen Spielraum beim Wettbewerb der Ideen wird man aber versuchen, mit pauschalen Begriffen den Standard festzulegen. Ein Bürogebäude soll also beispielsweise einen «mittleren Standard» aufweisen. Dadurch unterscheidet es sich mehr oder weniger klar von einem eher spartanischen Bürogebäude oder einem Bürogebäude des gehobenen Marktsegments.

Beim Bodenbelag, den Wandverkleidungen oder dem Sonnenschutz wird es vermutlich keine Probleme geben, wenn ein «mittlerer Standard» spezifiziert wird. Mehr braucht es nicht im Pflichtenheft. Beim Informatiknetzwerk dagegen reichen derartige pauschale Aussagen nicht. Die Bauherrschaft will hier nicht mittleren Standard, sondern eine ganz bestimmte Ausführung. Die Leistung des Netzwerks muss beispielsweise der Klasse 7 entsprechen, weil es für Multimediaanwendungen verwendet wird. Zudem muss es vielleicht für Internet-Telefonie (VoIP) ausgelegt sein.

Man befindet sich also ständig auf einer Gratwanderung. Einerseits sollen die Anforderungen möglichst offen und lösungsneutral sein, damit keine Entscheide unnötig präjudiziert werden. Die Totalunternehmersubmission soll ja ein Wettbewerb der Ideen sein. Andererseits müssen sie dort präzise sein, wo es drauf ankommt, damit man die Angebote vergleichen kann und ein Anbieter genau weiss, welche Spezifikationen er zu erfüllen hat. Leistungsmerkmale aller Art sind also genau zu definieren, aber auch nur diejenigen, die nötig sind. Man kann und soll nicht jede Einzelheit spezifizieren. Das würde ein Pflichtenheft mit unhandlichem Umfang ergeben und der Grundidee der Totalunternehmersubmissionen widersprechen.

  • Eine Erfahrung aus der Industrie

Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB haben in der Zeit um 1995 bei der Konzeption von Pflichtenheften für die Beschaffung von neuen Zügen sehr interessante Erfahrungen gemacht (Handelszeitung, Zürich, 23. Mai 1996). Ursprünglich haben sie aufgrund erster Offerten mit Investitionen von 620 Mio. Fr. gerechnet. Für eine zweite Offertrunde sind sie beim Pflichtenheft nochmals radikal über die Bücher gegangen und haben die zuerst vierhundert Vorgaben auf zehn reduziert, «um den Ingenieuren einen gewissen Spielraum zu geben». Als Resultat haben sich die Offertpreise auf unter 500 Mio. Fr. reduziert.

Meiner Ansicht nach sind die Verhältnisse im Bauwesen ähnlich. Es ist auch hier zu erwarten, dass die Baukosten umso geringer ausfallen, je offener die Anforderungen sind und je weniger Vorgaben und Einschränkungen gemacht werden. Ein Preisunterschied von 20% zwischen einem überspezifizierten und einem offenen Pflichtenheft würde mich nicht überraschen.

Varianten von Pflichtenheften

Es gibt keine Vorlage, wie aus der Vielzahl an Einzelanforderungen ein Pflichtenheft für eine Totalunternehmersubmission entstehen soll. Keine Norm regelt die Konzeption. In einfachen Fällen beinhaltet es nur ein Raumprogramm sowie eine knappe Beschreibung des gewünschten Standards. Beim oben besprochenen Projekt Bostuden haben wir gesehen (Näheres siehe hier), dass in Einzelfällen sogar noch auf das Raumprogramm verzichtet werden kann. Primär wird dort nur eine maximale Nettorendite gefordert. Die Optimierung der Nutzung (also des Raumprogramms) wird dem anbietenden Totalunternehmer überlassen. – Meistens dürften aber Pflichtenhefte für Totalunternehmersubmissionen deutlich komplexer sein. Im nächsten Absatz wollen wir uns anhand eines Beispiels näher damit befassen. Es geht dabei um den Neubau einer Fabrik.

Beispiel Pflichtenheft Fabrikneubau

Ein Fabrikneubau eignet sich gut, um das Wesen eines Pflichtenhefts für die Totalunternehmersubmission darzustellen. Im konkreten Fall handelt es sich um einen Produktionsbetrieb auf der grünen Wiese mit 5 000 m2 Fläche und einem Bürogebäude mit 150 Arbeitsplätzen. In der Werkhalle werden mit grossen Maschinen voluminöse Komponenten der Elektrotechnik hergestellt.

Der Umfang des Pflichtenhefts kann durchaus bescheiden sein. Es ist denkbar, dass für das gewählte Beispiel ein Textumfang von 20 bis 30 Seiten ausreicht. Dazu kommen noch die Beilagen in Planform (z.B. Fabriklayout).

Die folgende Liste beinhaltet mögliche Inhalte eines Pflichtenhefts für einen Fabrikneubau.

A. Standortbezogene Angaben
• Baugrund (geologisches Gutachten)
• Aspekte der vorhandenen Erschliessung (Verkehr, Kanalisation, Werkleitungen etc.)
• Masterplan für das Areal

B. Nutzung der Industriehalle
• Vorgegebenes Fabriklayout
• Statische Anforderungen (Nutzlasten von Böden; Lasten an Decken; Traglasten von Hallenkranen etc.)
• Raumhöhen (lichte Raumhöhe; Kranhakenhöhe und dgl.)
• Medienversorgung der Betriebseinrichtungen (Stark- und Schwachstrom; Abluft; Wasser; Abwasser; Druckluft etc.)
• Raumklima (Lufttemperatur minimal / maximal; Luftwechsel etc.)
• Hallenboden (Härte; Verschleisseigenschaften; Staubfreiheit)
• Natürliche Belichtung; Blick ins Freie
• Nebenfunktionen (Garderoben; technische Zentralen etc).

C. Büronutzung
• Raumprogramm (inkl. Nebenfunktionen wie Sitzungszimmer, Pausenbereich, Kantine, Archiv etc.)
• Aussagen zur Büroform (Zellenbüros; offene Bürolandschaften etc.)
• Angestrebte Flexibilität hinsichtlich veränderter Anforderungen generell (Anpassung der Raumstruktur)
• Komfortstufe von Lüftung und Kühlung
• Genaue Spezifikation des Informatik-Netzwerks
• Anforderungen an die Fassade aus Nutzersicht (Fenster zum Öffnen; Sonnenschutz individuell bedienbar etc.)
• Möglichkeiten der Zonierung und Untervermietung

D. Einige übrige bauliche Anforderungen
• Energiekonzept (z.B. Zielwerte für Energieverbrauch, die über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen)
• Umgebungsgestaltung (Strassen, Parkplätze, Grünflächen etc.)
• Parkierung (Anzahl Parkplätze; qualitative Anforderungen)
• Aspekte des Unterhalts
• Aspekte der Sicherheit (Zutrittskontrolle; Alarmierung)

E. Kaufmännische und administrative Regelungen
• Abgrenzung der Kosten, die in den Werkpreis einzurechnen sind (Werkleitungen; Baunebenkosten; Finanzierungskosten)
• Betriebseinrichtungen, die vom Bauherrn selber beschafft werden (z.B. Lagereinrichtungen; Büromobiliar)
• Ecktermine aus Sicht Bauherrschaft
• Umfang und formale Aufbereitung der Unterlagen für das Angebot
• Aussagen zu Garantien
• Gewichtung der Beurteilungskriterien
• Vertragsbedingungen (z.B. Anwendung des Mustervertrag des VSGU einschliesslich der Allgemeinen Vertragsbedingungen AVB)