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Weitere Empfehlungen zum Architektenvertrag

In diesem Abschnitt erörtern wir einige Sachfragen aus der SIA-Honorarordnung 102, die sich nicht direkt auf das Kernthema der Honorarermittlung beziehen, sondern andere Punkte der Vertragsbeziehung zwischen Architekt und Bauherrschaft zum Gegenstand haben. Sie betreffen die Vollmacht, die Haftung und den Widerruf.

SIA-Normen oder Obligationenrecht?

Teilweise werden durch die SIA-Ordnung 102 Bestimmungen des Obligationenrechts abgeändert, und zwar zum Nachteil des Auftraggebers (Bauherrn). Rechtlich ist dies zwar zulässig, genausogut wie eine Besserstellung des Auftraggebers zulässig ist. Bei einer Schlechterstellung im Vergleich zum OR sollte dem Auftraggeber aber klar sein, dass er etwas Ungewöhnliches unterzeichnet. Der Auftragnehmer (Architekt), der den Vertragsentwurf vorlegt, muss seinen nicht sachkundigen Vertragspartner darauf aufmerksam machen. Gemäss meinen Erfahrungen passiert das aber selten bis nie. Vielfach schauen die Auftraggeber die SIA-Ordnung 102 nicht einmal an. Ein grosser Teil der Architekten, wenn nicht sogar die Mehrheit, kennt vermutlich die Unterschiede zwischen Gesetz (OR) und SIA 102 auch gar nicht so genau. Es ist darum angebracht, dass wir uns mit einigen vorformulierten Vertragsklauseln der SIA-Ordnung 102 etwas gründlicher auseinandersetzen. Besonders bedeutsam ist die (mögliche) Schlechterstellung gegenüber dem OR bei der Haftung.

Literaturempfehlung: Gauch/Tercier, Architektenrecht (Detailangaben siehe Literaturverzeichnis)

A. Die Vollmacht des Architekten

Der Architekt ist beim Bauen in vielerlei Hinsicht der Stellvertreter der Bauherrschaft. Seine Legitimation, im Namen des Auftraggebers gewisse Rechtshandlungen (Tätigkeiten) vorzunehmen, bezeichnet man als Vollmacht. Wie bei jeder Stellvertretung ist es auch bei ihm nötig, den Umfang der Vertretungsbefugnisse genau zu vereinbaren. Der Architekt soll nicht Entscheide treffen, die die Bauherrschaft eigentlich sich selber vorbehalten möchte. Zudem müssen die Unternehmer wissen, für welche Entscheide oder Anordnungen er legitimiert ist – und für welche nicht.

Zentrale Bestimmungen zur Vollmacht des Architekten finden sich im Artikel 1.4 der SIA-Honorarordnung 102. Ich zitiere daraus den dritten Abschnitt: «Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnisse des Architekten richten sich nach dem Vertrag. Im Zweifelsfall hat der Architekt die Weisungen des Auftragnehmers einzuholen für alle rechtsgeschäftlichen Vorkehren sowie für Anordnungen, die terminlich, qualitativ oder finanziell wesentlich sind. Gegenüber Dritten, wie Behörden, Unternehmern, Lieferanten und weiteren Beauftragten, vertritt der Architekt den Auftraggeber rechtsverbindlich, soweit es sich um Tätigkeiten handelt, die mit der Auftragserledigung üblicherweise direkt zusammenhängen» (Art. 1.4.3 SIA 102). Daraus lässt sich ableiten, dass die wirklich wichtigen Rechtshandlungen vom Architekten nicht ohne Absprache vorgenommen werden können. Darunter fallen insbesondere solche, die mit finanziellen Konsequenzen verbunden sind. Völlig klar ist beispielsweise, dass nur die Bauherrschaft (und nicht der Architekt) Bauarbeiten vergeben und Werkverträge abschliessen kann. Bei einem breiten Feld von Tätigkeiten ist aber eine Stellvertretung möglich und notwendig. Das Paradebeispiel ist die örtliche Bauleitung, also das Erteilen von Weisungen auf der Baustelle. An vielen Stellen des umfangreichen Leistungsbeschriebes (Art. 4 SIA 102) werden dazu konkrete Beispiele aufgeführt (Ausmasse aufnehmen, Werke prüfen, Mängelrügen erheben etc.).

Obwohl die Vertretungsbefugnisse in der Ordnung SIA 102 nicht lückenlos geregelt sind, ergeben sich gemäss meinen Erfahrungen diesbezüglich relativ wenige Probleme. Offenbar hat sich im Baualltag während langer Jahre allmählich eingependelt, was «üblicherweise» zur Vollmacht des Architekten gehört. Trotzdem empfehle ich, die Vollmacht im Rahmen der Vertragsverhandlungen zu erörtern. Vollmacht soll nur für Rechtshandlungen erteilt werden, wo eine Vertretung aus sachlichen Gründen unbedingt nötig ist.

Wie soll eine nicht sachkundige Bauherrschaft die Vollmacht des beauftragten Architekten festlegen? Am besten spricht sie mit ihm anhand des Leistungsbeschriebes (Art. 4) in der SIA-Ordnung 102 den ganzen Projektablauf systematisch durch. Der Architekt soll speziell jene Tätigkeiten (Rechtshandlungen) darlegen, bei denen er seiner Ansicht nach den Auftraggeber rechtsverbindlich vertreten will, weil diese Tätigkeiten «mit der Auftragserledigung üblicherweise direkt zusammenhängen». Ein spezielles Augenmerk ist dabei meiner Ansicht nach auf die nachfolgend aufgeführten Punkte zu legen. Sie betreffen die Vollmacht der Bauleitung gegenüber den Unternehmern während der Bauausführung. Im Abschnitt zum Werkvertragsrecht kommen wir im Detail darauf zurück.

 

  • Regierapporte

Bei Regiearbeiten hat sich in der Praxis eingebürgert, dass die Bauleitung ohne viel Überwachung schalten und walten kann, wie es ihr beliebt. Hier ist eine weniger weit gehende Vollmacht angebracht. Das letzte Wort soll die Bauherrschaft haben. Es kann beispielsweise vereinbart werden, dass Regierapporte auch durch sie zu unterzeichnen sind (siehe «Schutzmassnahmen bei Regiearbeiten»).

 

  • Bestellungsänderungen

Abänderungen am abgeschlossenen Werkvertrag, die mit Mehrkosten verbunden sind, sollen grundsätzlich von der Bauherrschaft genehmigt werden. Dies betrifft insbesondere Zusatzbestellungen von Leistungen im Festpreis sowie Regiebestellungen (siehe «Schutzmassnahmen bei Bestellungsänderungen»).

 

  • Schlussabrechnung

Nur die Bauherrschaft soll finanzielle Forderungen anerkennen können. Die Bauleitung ist lediglich befugt, Schlussrechnungen in sachlicher Hinsicht zu kontrollieren. Diese Forderung entspricht den Vereinbarungen zur Vollmacht in der SIA-Ordnung 102. Sie ist hier trotzdem aufgeführt, weil in der SIA-Norm 118 («Handwerkernorm») die Vollmacht des Architekten weiter gefasst ist (siehe «Schutzmassnahmen bei der Schlussabrechnung»).

 

  • Abnahmen

Die Bauleitung soll nicht die uneingeschränkte Vollmacht haben, Werke in eigener Kompetenz abzunehmen. Sie kann zwar das Werk mit dem Unternehmer gemeinsam prüfen und das Abnahmeprotokoll aufsetzen. Eine letzte Kontrolle muss aber der Bauherrschaft vorbehalten bleiben. Dadurch wird vermieden, dass die Bauleitung offensichtliche Mängel genehmigt, die die Bauherrschaft später nicht mehr rügen kann (siehe «Schutzmassnahmen bei der Abnahme»).

B. Verantwortlichkeit (Haftung)

Grundsätzlich haftet nach Gesetz ein Beauftragter für die getreue und sorgfältige Ausführung der ihm übertragenen Geschäfte (OR 398). In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Architektenvertrags (SIA-Ordnung 102) ist die Art der Haftung des Architekten wie folgt festgelegt: Der Architekt hat dem Auftraggeber «bei verschuldeter, fehlerhafter Auftragserfüllung entstandenen direkten Schaden zu ersetzen» (Art. 1.6 SIA 102). Konkret kann man sich unter dieser Formulierung beispielsweise vorstellen, dass der Architekt (oder seine Versicherung) für die Reparatur eines undichten Flachdaches einer Fabrik haftet, nicht aber für den Produktionsausfall, der durch das undichte Dach eingetreten ist.

In der juristischen Literatur wird die Meinung vertreten, dass die Beschränkung der Haft auf den direkten Schaden in grossem Masse eine Schlechterstellung des Bauherrn gegenüber dem Gesetz bedeute. Die Haftungsbeschränkung sei im Text sehr unauffällig. Sie werde von einem aufmerksamen Leser und sogar von einem Juristen nicht ohne weiteres entdeckt. Die Haftungsbeschränkung sei daher unverbindlich, wenn sie von einem unerfahrenen Bauherrn übernommen werde, ohne gelesen und verstanden zu sein (Schumacher, in: Gauch/Tercier, Architektenrecht; Seite 147).

Vereinfacht gesagt ist gemäss Schumacher die Haftungsbeschränkung gemäss Art. 1.6 SIA 102 für nicht sachkundige Bauherren ungültig, weil sie die fragliche Vertragsklausel gar nicht verstehen können. Als juristischer Laie vermute ich daher, dass für unerfahrene Bauherrschaften die volle Haftung gilt, obwohl im vorformulierten Vertragstext etwas anderes steht. Wer sich dieser Ungewissheit nicht aussetzen will, streicht die fragliche Klausel mit der Haftungsbeschränkung Art. 1.6 SIA 102 aus dem Vertrag. Eine eingeschränkte Haftung des Architekten, die nur den direkten Schaden umfasst, ist nämlich nicht leicht hinzunehmen, denn Anlässe für mögliche Haftungsfragen gibt es bei der Architektentätigkeit wahrlich genug. Fehler können beispielsweise passieren bei der Wahl der Materialien, bei der Konstruktion, beim Erstellen der Pläne (falsches Mass), bei der Bauleitung oder bei der Beaufsichtigung der anderen Planer.

C. Widerruf und Kündigung

Entsprechend dem Gesetz (OR 404) kann gemäss SIA 102 ein Auftrag jederzeit widerrufen werden, wobei Schadenersatz zu bezahlen ist, wenn der Widerruf «zur Unzeit» erfolgt. Sofern den Architekten am Widerruf kein Verschulden trifft, ist zusätzlich zum Honorar für die vertragsgemäss geleistete Arbeit ein Zuschlag zu bezahlen. «Der Zuschlag beträgt 10% des Honorars für den entzogenen Auftragsteil oder mehr, wenn der Schaden grösser ist» (Art. 1.14.3 SIA 102). Man darf sich fragen, ob im individuellen Vertrag nicht eine Lösung vereinbart werden soll, die den Auftraggeber noch weniger verpflichtet. Dabei ist zu unterscheiden, ob ein Auftrag einem anderen Planer übertragen wird oder ob gleich das Projekt gestoppt wird.

 

  • Fall A: Planerwechsel

Grundsätzlich ist es so, dass kein Auftraggeber ein Interesse daran hat, einem Beauftragten leichtfertig den Auftrag zu entziehen. Im Bauwesen ist ein Planerwechsel meistens mit erheblichen Umtrieben verbunden, und er verzögert das Projekt. Dieser Schritt wird erst in Betracht gezogen, wenn das Vertrauensverhältnis gründlich gestört ist. Wenn dies aber der Fall ist, muss ein Widerruf auch vollzogen werden können, denn ein Architektenauftrag ohne volles Vertrauen ist angesichts der grossen Summen, um die es geht, eine höchst riskante Angelegenheit. Der Entzug des Auftrags darf nicht mit einer Art Konventionalstrafe finanziell unattraktiv gemacht werden.

 

  • Fall B: Projektabbruch

Es kommt relativ häufig vor, dass Bauprojekte (vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen) abgebrochen werden. Derartige Abbrüche bedeuten in den meisten Fällen finanzielle Einbussen für die Bauherrschaft. Es sollte nicht noch ein Schadenersatz an einen Planer bezahlt werden müssen, selbst dann nicht, wenn der Abbruch «zur Unzeit» erfolgt. Mit diesem Risiko muss der Beauftragte leben.

 

  • Schutzmassnahmen

Um allfällige Schadenersatzforderungen von vornherein zu vermeiden, kann eine etappenweise Erteilung des Auftrags in Betracht gezogen werden. Hier umgeht man das Risiko weitgehend, einen Zuschlag für einen allfälligen Widerruf bezahlen zu müssen. In der Praxis behilft man sich etwa damit, dass der Auftrag vorerst nur bis zur Baueingabe erteilt wird. Bei der Anwendung des Kostentarifs ergibt sich dadurch ein Leistungsanteil von 28%, sofern der Kostenvoranschlag noch zurückgestellt wird. Allenfalls kann es sogar angezeigt sein, in einer ersten Phase nur das Vorprojekt mit einem Leistungsanteil von 9% zu beauftragen (vgl. Leistungstabelle).

 

  • Architektenverpflichtungen widerrufen?

Im Zusammenhang mit dem Widerruf von Architektenaufträgen ist darauf hinzuweisen, dass auch Architektenverpflichtungen (verwandt mit Handwerkerverpflichtungen) widerrufen werden können. Da Aufträge gemäss OR grundsätzlich widerrufbar sind, muss dies auch für die Verpflichtung zu einem Auftrag gelten. Die Architekten als Landverkäufer wissen allerdings auch, dass diese Möglichkeit besteht, und sichern sich ab (vielfach mit einem Generalunternehmergeschäft, an das die Architektenverpflichtung gekoppelt ist). Falls keine derartige Absicherung besteht, kann ein Widerruf mit guten Chancen in Betracht gezogen werden. Ein mit der Materie vertrauter Anwalt hilft weiter.