Beispiel 2: Pflichtenheft Verwaltungsgebäude
Ein Pflichtenheft ist die massgebliche Planungsgrundlage für ein Bauvorhaben, das heute gebaut wird, aber die Raumbedürfnisse der Zukunft zu befriedigen hat. Nun ist aber jede Aussage zur Zukunft und somit jede Prognose mit Unsicherheit behaftet. Diese Ungewissheit hat Konsequenzen für die Bauprojekte. Sie müssen in hohem Masse unterschiedlich nutzbar sein und sich an verschiedene mögliche Entwicklungen, die nicht genau vorhersehbar sind, anpassen können.
Bei einem Verwaltungsgebäude eines Industrieunternehmens hat die Unsicherheit einen besonders hohen Stellenwert. Die zukünftigen Geschäftsaussichten, von denen der Raumbedarf primär abhängt, sind nur beschränkt prognostizierbar. Aber nicht nur die Anzahl der Arbeitsplätze kann sich ändern, auch die Art der Bürotätigkeit und damit der davon abhängende Flächenbedarf pro Arbeitsplatz. Neue Möglichkeiten der Konzeption von Büros treten auf, von Kombibüros mit Studierzellen bis zu völlig offenen Landschaften mit variablen, nicht fest zugeteilten Arbeitsplätzen.
Wohin man auch blickt: Alles verändert sich. Man kommt allerdings nicht darum herum, die Unsicherheit zu akzeptieren und so gut wie möglich mit ihr zu leben. Sorgfältige Überlegungen zu denkbaren Entwicklungen sind besser, als vor der Ungewissheit zu kapitulieren und überhaupt auf Planung zu verzichten.
Grundprinzip des Raumprogramms
Das nachfolgende Beispiel zeigt eine Möglichkeit, wie das Resultat der Bedürfnisermittlung für ein Verwaltungsgebäude dargestellt werden kann. Der Anforderungskatalog in Listenform ist vergleichbar mit dem Raumprogramm für einen Architektenwettbewerb. Ueblicherweise werden nur die reinen Nutzflächen (Nettoflächen) aufgelistet. Die Flächen für Erschliessung, WC-Anlagen und dergleichen sind im Raumprogramm normalerweise nicht aufgeführt und ergeben sich erst durch die architektonische Umsetzung.
Das Raumprogramm besteht im Beispiel aus folgenden Teilen:
A. Ständige Arbeitsplätze. Als grober Richtwert für überschlagsmässige Berechnungen kann von einem Mittelwert von etwa 14 m2 pro Büroarbeitsplatz ausgegangen werden (reine Nutzfläche, ohne Korridore, Sanitär- und Nebenräume etc.).
B. Nebenräume. In diese Rubrik des Raumprogramms fallen Nutzungen wie Sitzungzimmer, Ausstellungsräume, Archive, Computerräume, Bibliotheken und dergleichen mehr.
C. Wachstumsreserven. Hier wird aufgeführt, welcher zusätzliche Raumbedarf innerhalb des Planungshorizonts (z. B. 5 Jahre) erwartet wird. Der auf diese Weise prognostizierte Wachstumsbedarf wird auf Vorrat gebaut.
Beispiel eines Raumprogramms für ein Verwaltungsgebäude
Art der Nutzung |
Anzahl
Arbeits-
plätze |
Fläche
netto
(m2) |
A. Ständige Arbeitsplätze |
|
|
— Geschäftsleitung |
1
|
30
|
— Sekretariat, Empfang |
2
|
30
|
— Leiter Marketing |
1
|
20
|
— Marketing |
2
|
20
|
— Controlling / EDV |
2
|
24
|
— Buchhaltung |
3
|
30
|
— Personalleitung |
1
|
20
|
— AVOR / PPS |
15
|
180
|
— Leiter Konstruktion |
1
|
20
|
— Konstruktion |
10
|
150
|
|
Zwischentotal |
38
|
524
|
|
Durchschnittliche Fläche (netto) pro Arbeitsplatz: |
524 m2 : 38 Arbeitsplätze = 13.8 m2 pro Arbeitsplatz |
|
B. Nebenräume |
— Besprechung (20 Personen |
40
|
— Ausstellung |
40
|
|
C. Wachstumsreserven |
— 4 Arbeitsplätze x 15 m2 |
60
|
— Nebenflächen |
20
|
|
Gesamttotal Nutzflächen netto |
664
|
Grobe Abschätzung der Anlagekosten
Der ungefähre Investitionsbetrag für das Verwaltungsgebäude kann bereits anhand des Raumprogramms abgeschätzt werden, sofern die notwendigen statistischen Erfahrungswerte verfügbar sind. Neben dem eigentlichen Kostenkennwert (Fr. pro m2 Geschossfläche) braucht es einen Erfahrungswert für den Umrechnungsfaktor U. Mit diesem Faktor U wird aus der Nettonutzfläche (gemäss Raumprogramm) die Geschossfläche berechnet. Die Geschossfläche enthält im Unterschied zur Nettonutzfläche zusätzlich Wandquerschnitte, Korridore, Treppen, Sanitäranlagen und dergleichen. Der Umrechnungsfaktor U ist nicht bei allen Projekten gleich und hängt ab von Büroform, Erschliessungskonzept und weiteren Parametern.
Im nachfolgenden Beispiel wird das geforderte Raumprogramm auf zwei oberirdische, gleich grosse Bürogeschosse aufgeteilt. Zusätzlich wird für die Kostenberechnung ein Untergeschoss mit nicht näher definierter Nutzung angenommen. Es ergeben sich approximative Anlagekosten (ohne Grundstück) von 2.7 Mio. Fr.
Abschätzung der Anlagekosten für ein Verwaltungsgebäude
(mit einem Raumprogramm als Grundlage der Berechnung)
Ausgangslage |
Gegeben ist ein Raumprogramm für ein Verwaltungsgebäude.
Die geforderte Fläche wird auf zwei Bürogeschossen untergebracht.
Zusätzlich ist ein Untergeschoss vorgesehen. |
|
Nutzflächen netto (gemäss Raumprogramm) |
- Flächen für Arbeitsplätze |
524 m2
|
- Nebenräume (Sitzungszimmer etc.) |
80 m2
|
- Wachstumsreserven |
80 m2
|
Nutzflächen netto total |
664 m2
|
|
Umrechnung in Geschossflächen |
Anhand des Umrechnungsfaktors U (Erfahrungswert) werden aus den Nettoflächen die Geschossflächen der beiden Bürogeschosse berechnet.
Im Zuschlag sind enthalten: Wandquerschnitte, Korridore, Treppen, Sanitäranlagen etc. |
Annahme Umrechnungsfaktor U = 140 % |
Geschossfläche beide Bürogeschosse
664 m2 x 140 % |
930 m2
|
+ Untergeschoss (die Hälfte von 930 m2) |
465 m2
|
Gesamttotal der Geschossflächen |
1 395 m2
|
|
Abschätzung der Anlagekosten (mit Kostenkennwert)
|
Annahme Kostenkennwert: 1 750 Fr. pro m2 Geschossfläche
|
|
Gebäudekosten: 1 395 m2 x 1 750 Fr./m2 |
2.44 Mio. Fr.
|
Umgebung (geschätzt) |
0.06 Mio. Fr.
|
Baunebenkosten (geschätzt) |
0.20 Mio. Fr.
|
Anlagekosten (inkl. MWSt) |
2.70 Mio. Fr.
|
|
Nicht enthaltene Kosten: Grundstück |
|