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Unsicherheiten der Kostenprognose

Auf den ersten Blick erstaunt die Aussage, dass beim Totalunternehmermodell überhaupt Unsicherheiten der Kostenprognose bestehen sollen. Der Totalunternehmer darf die Werkvertragssumme ja bekanntlich nicht überschreiten. Quellen der Unsicherheit liegen denn auch nicht beim Vertrag an und für sich, sondern zum kleineren Teil beim Pflichtenheft, das dem Vertrag zugrunde liegt (und welches nie ganz genau sein kann), zum grösseren Teil jedoch bei den unvermeidlichen Zusatzwünschen der Bauherrschaft. In diesem Abschnitt wollen wir abschätzen, in welchem Masse die genannten Unsicherheitsfaktoren die Vertragssumme im Totalunternehmer-Werkvertrag beeinflussen können - meistens nach oben.

Projekte mit unterschiedlichem Anpassungsbedarf

Es sind nicht alle Projekte gleich anfällig auf Zusatzwünsche und Projektänderungen. Katalogprodukte wie Typenhäuser beispielsweise kommen mit ganz wenigen Preisanpassungen aus, falls überhaupt solche nötig sind. Es gibt aber auch Bauprojekte mit vielen Aenderungen. In der Regel zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie aus unterschiedlichen Gründen zum Zeitpunkt der Abfassung des Pflichtenheftes nicht in allen Teilen verbindlich definiert werden können. Sie basieren somit auf einem Pflichtenheft, das nach Vertragsabschluss noch modifiziert wird. Ein typisches Beispiel dafür ist eine Fabrik mit komplexen Betriebseinrichtungen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man darauf reagieren kann, dass einzelne Teile eines Pflichtenheftes noch mit Unsicherheiten behaftet sind: mit Budgetpreisen (siehe «Budgetpreis») und mit der Spezifikation der wahrscheinlichsten Ausführung. Bei der ersten Möglichkeit verzichtet man auf eine genaue Spezifikation und rechnet die fragliche Leistung zu gegebener Zeit separat offen ab. Bei der zweiten Möglichkeit jedoch beschreibt man im Pflichtenheft die wahrscheinlichste Art der Ausführung, nimmt jedoch in Kauf, dass man die Spezifikation nach Vertragsabschluss nochmals ändern muss. Persönlich ziehe ich die zweite Variante vor.

Bei einem Projekt wie der oben genannten Fabrik ist es durchaus möglich, dass fünfzig Preisanpassungen (Projektänderungen) vorgenommen werden müssen, sofern man weitgehend auf Budgetpreise verzichtet. Das gültige Vertragsdokument besteht dann aus der ursprünglichen Fassung bei Vertragsabschluss sowie einer im Laufe der Projektabwicklung ständig länger werdenden Kette von Nachträgen. Dank den laufend nachgeführten Aenderungen ist der Werkvertrag aber immer «tagesaktuell».

Beispiel eines Projektes mit vielen Aenderungen

Wir wollen das Beispiel eines Projektes mit vielen Aenderungen etwas näher betrachten. In der nachfolgenden Tabelle ist dargestellt, wie sich die änderungsbedingten Mehrkosten typischerweise zusammensetzen können.

 

Mehrkosten (Nachträge) bei einem Projekt mir vielen Aenderungen (Beispiel)

Übersicht Nachträge

Neubau Messerfabrik Scharf

Vertrag
(Mio. Fr.)
Nachträge
(Mio. Fr.)
Abweichung
(%)
Gebäudekosten
6.38
0.13
+ 2%
Betriebseinrichtungen
1.53
0.16
+ 10%
Umgebung und Erschliessung
0.42
0.13
+ 31%
Baunebenkosten
0.15
-
-
Honorare
0.82
-
-
Total Anlagekosten
9.25
0.40
+ 4%

 

  • Gebäudekosten

Bei den Gebäudekosten, die den grössten Teil der Anlagekosten ausmachen, sind die Abweichungen am kleinsten. Mit 1 bis 2% Mehrkosten in Form von Nachträgen (Projektänderungen) sollte man auskommen. Sie resultieren praktisch ausschliesslich aus Zusatzwünschen der Bauherrschaft (teurere Bauteile als im Pflichtenheft vorgesehen), zu einem kleineren Teil auch aus Forderungen der Behörden (z. B. betreffend Brandschutz).

 

  • Betriebseinrichtungen

Darunter verstehen wir die eher baunahen Betriebseinrichtungen, die im Leistungsumfang des Totalunternehmer-Werkvertrags enthalten sind und nicht von der Bauherrschaft selber beschafft werden. Betriebseinrichtungen sind wesentlich empfindlicher auf Mehrkosten (im Beispiel +10%) als die Gebäudekosten. Ein Beispiel dafür sind die Einzelfundamente für Produktionsmaschinen und betriebliche Einrichtungen im Beispiel «Nachtrag 1», die grösser als ursprünglich vorgesehen ausgeführt werden.

 

  • Umgebung und Erschliessung

Bei dieser zusammengefassten Position ist im Beispiel mit +31% eine deutliche Überschreitung der ursprünglichen Summe angegeben. In Franken ausgedrückt ist der Mehrbetrag allerdings nicht so dramatisch. Das Kostenziel wird darum überschritten, weil die Spezifikationen für Umgebung und Erschliessung zum Zeitpunkt der Erstellung des Pflichtenheftes oft noch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. Da die Totalunternehmer keine andere Möglichkeit haben, als sich bei der Ausarbeitung des Angebots auf das Pflichtenheft abzustützen, können spätere Nachforderungen nicht ausgeschlossen werden.

Umgebung und Erschliessung weisen gemeinsam das charakteristische Merkmal auf, dass sich Mehrleistungen massiv auswirken können. Betrachten wir dazu als anschauliches Beispiel die sogenannten Hartflächen rund um eine Fabrik. Wenn sich die Industrieanlage auf einem weitläufigen Firmenareal befindet, kann nach Vertragsabschluss bei der Bauherrschaft durchaus der Wunsch auftauchen, dass die Hartfläche grösser als ursprünglich vorgesehen ausgeführt werden soll. Damit diese grosse Fläche auch richtig genutzt werden kann, muss möglicherweise gleichzeitig die Nutzlast gegenüber der Spezifikation im Pflichtenheft erhöht werden: der Hartplatz soll nicht nur für Stapler ausgelegt werden, sondern für 40-Tonnen-Lastwagen. - Gekoppelt ergeben die beiden Spezifikationsänderungen einen substantiellen Nachtrag.

Noch krasser wirken sich Projektänderungen bei den Erschliessungsleitungen auf die Kosten aus. Nehmen wir an, im Pflichtenheft sei kein Gasanschluss vorgesehen gewesen. Im Verlauf der betrieblichen Planung stellt sich aber heraus, dass Erdgas für spezielle industrielle Zwecke vorteilhafter wäre als Elektrizität. Die Versorgung mit diesem zusätzlichen Medium stellt einen erheblichen Kostenfaktor dar.

 

  • Baunebenkosten und Honorare

Diese Positionen sind bis auf ganz wenige Ausnahmen fix. Mehrkosten sind somit nicht zu erwarten.

 

  • Gesamte Anlagekosten

Die Anlagekosten steigen im Beispiel durch die Projektänderungen (Mehrleistungen) von 9.25 Mio. um 0.4 Mio. an, was eine prozentuale Erhöhung um 4% ergibt.

Die Bauherrenreserve bei Gesamtleistungsverträgen

Das praxisnahe Beispiel im letzten Abschnitt erlaubt uns, für unterschiedliche Bauvorhaben Richtwerte für das Ausmass der Mehrkosten infolge Projektänderungen anzugeben. Diese finanzielle Planungsreserve steht ausschliesslich der Bauherrschaft zur Verfügung und ist nicht Bestandteil des Totalunternehmer-Werkvertrages. Wir bezeichnen sie als Bauherrenreserve. Die änderungsbedingten Mehrkosten liegen üblicherweise im Bereich von 1% bis etwa 5% der Anlagekosten, wobei je nach Projekt erhebliche Unterschiede zu erwarten sind.

 

  • A. Einfache Projekte ohne besondere Risiken

Hier betragen die mutmasslichen Mehrkosten etwa 1 bis 2%. Ein Beispiel für diesen einfachen Fall ist ein Typenhaus (Einfamilienhaus). Der Werkpreis betrage 450 000 Fr. (ohne Land). Nach der Vertragsunterzeichnung kommt die Bauherrschaft zum Schluss, dass sie entgegen ihrer früheren Meinung doch gerne einen Cheminéeofen und eine Abwaschmaschine hätte: Schon sind die 2% Mehrkosten erreicht.

 

  • B. Einfache Projekte mit speziellen Risiken

Es gibt verschiedene Ursachen für spezielle Risiken: unsicherer Baugrund bei Neubauten, Unsicherheiten über den Zustand der Bausubstanz bei Umbauten und so weiter. In solchen Fällen ist eine Reserve für Mehrkosten von 5 bis 10% empfehlenswert, sofern nicht alle Risiken ausdrücklich in den Totalunternehmer-Werkvertrag eingeschlossen werden.

Nehmen wir als Beispiel ein individuell konzipiertes Einfamilienhaus, das auf einem etwas problematischen Baugrund erstellt werden soll. Selbst wenn ein geologisches Gutachten vorliegt, kann über die baulichen Massnahmen im Detail erst an Ort und Stelle bei offener Baugrube entschieden werden. Im ungünstigen Fall können die Mehrkosten für die Verbesserung des Baugrundes ohne weiteres 40 000 Fr. ausmachen. Bei Anlagekosten von 600 000 Fr. (ohne Land) ergibt sich dadurch eine Kostenüberschreitung um rund 7%.

 

  • C. Komplexe Projekte mit vielen Aenderungen

Auf ein derartiges Beispiel sind wir im letzten Absatz eingegangen (siehe Absatz «Beispiel eines Projektes mit vielen Aenderungen»). Für allfällige änderungsbedingte Mehrkosten ist eine Bauherrenreserve von 5% empfehlenswert.