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Der neue Weg: Die Gesamtleistungsausschreibung

In diesem einleitenden Abschnitt gehen wir, teilweise als Wiederholung, auf die charakteristischen Merkmale der Gesamtleistungsausschreibung ein. Wir fragen uns, wodurch sie sich vom traditionellen Architektenverfahren unterscheidet, welche Rolle der Bauherrschaft zukommt und wieso das Modell gerade jetzt eine Blütezeit erlebt.

Was ist die «Gesamtleistungsausschreibung»?

Im Kapitel 4 haben wir die Gesamtleistungsausschreibung bereits in den Grundzügen dargestellt (siehe Abschnitt «Gesamtleistungsauschreibung»). Wir gehen auf die beiden zentralen Merkmale nochmals kurz ein.

 

  • Merkmal 1: Planung und Ausführung aus einer Hand

Führung und Verantwortung sind beim Gesamtleistungsmodell während des ganzen Projektes an einer Stelle konzentriert: beim Totalunternehmer. Diese ungeteilte Verantwortung reicht von den ersten Überlegungen der Planer (eventuell auf der Basis eines vorgegebenen Grobkonzepts) bis zur Bauausführung im Werkvertrag. Die Anbieter derartiger Leistungen sind überzeugt, dass nur so ein optimales Ergebnis beim Bauen möglich sei. Nur wer selber ausführend tätig sei, könne vorgängig als Planer im Sinne des Investors das Gesamtoptimum erreichen.

 

  • Merkmal 2: Anbieter in Konkurrenz

Vor der Auftragserteilung herrscht unter den Anbietern von Gesamtleistungen ein Konkurrenzverhältnis. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass sich der Preis der angebotenen Leistung am Markt orientiert. Der Investor erhält somit nicht nur die gesamte Leistung aus einer Hand, er hat zudem die Gewissheit, dass sich der Preis im freien Spiel der Marktkräfte bildet.

Bauliche Gesamtleistungen können zwar durchaus auch ohne Konkurrenz (im Direktauftrag) bestellt werden. Im ganzen Teil III dieses Buches haben wir aber immer eine Konkurrenzausschreibung vor Augen, wenn wir von Gesamtleistungen sprechen: Die Bauherrschaft holt also für das Bauvorhaben mehr als nur eine Offerte ein.

Zum Namen des Verfahrens

Da das Verfahren der Gesamtleistungsausschreibung noch wenig verbreitet ist, hat sich in der Bauwirtschaft auch noch kein allgemein anerkannter Name eingebürgert. Es werden auch Bezeichnungen wie Totalunternehmersubmission, Totalunternehmerwettbewerb oder Gesamtleistungswettbewerb verwendet. Der letztgenannte Ausdruck findet sich beispielsweise im neuen Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen. Es sind allesamt wenig elegante Bezeichnungen für einen eleganten Weg.

Bei der Namenwahl habe ich mich davon leiten lassen, dass ich in diesem Buch nicht auf alle Untervarianten des Totalunternehmermodells gleichwertig eingehe, sondern ein ausgewähltes Verfahren vertieft behandle: die sogenannte Praktikermethode. Die Praktikermethode ist mit einem konventionellen Architektenwettbewerb nur sehr beschränkt vergleichbar, weshalb ich auf den Begriff «Wettbewerb» bei der Bezeichnung des Verfahrens verzichte. Es geht bei der Praktikermethode vielmehr darum, die Lieferung baulicher Gesamtleistungen unter einem relativ kleinen Kreis von Interessierten auszuschreiben, so wie beispielsweise die Lieferung von grossen Maschinen oder Anlagen unter einigen wenigen spezialisierten Anbietern ausgeschrieben wird.

Aufgrund der privilegierten Betrachtung des Praktikerverfahrens gebrauche ich in diesem Buch konsequent den Ausdruck «Gesamtleistungsausschreibung» und nicht «Gesamtleistungswettbewerb».

Bauwerke kaufen wie Autos?

Mit der Gesamtleistungsausschreibung verändern sich, verglichen mit dem traditionellen Architektenverfahren, die Aufgaben der Bauherrschaft erheblich. Gelegentlich wird behauptet, mit der neuen Methode könne sie Bauwerke fast so einfach einkaufen wie Autos. Was hat es mit dieser Aussage auf sich?

Fragen wir uns zuerst, wie der Kauf eines Autos typischerweise abläuft. Zuerst besorgt sich eine kauflustige Person Prospekte, studiert Testberichte und hört sich bei Bekannten um. Dann unternimmt sie möglicherweise einige Probefahrten und lässt sich von verschiedenen Autohändlern Offerten ausarbeiten. Nun hat sie die wesentlichen Grundlagen, die für den Entscheid nötig sind, in der Hand. Die harten Fakten wie Leistungsmerkmale und Preis sind bekannt. Es sind eher die «weichen» Gesichtspunkte wie das Design oder der Prestigewert des Fahrzeugs, welche die Wahl zur Qual machen können.

Für einige spezielle Arten von Bauwerken ist dieser einfache Weg des Einkaufens schon lange möglich. Ein Beispiel sind Einfamilienhäuser. Wenn eine Bauherrschaft die Umtriebe des traditionellen Bauens scheut, geht sie zu einem Anbieter von Typenhäusern. Sie lässt sich, vielfach gratis, ein Angebot ausarbeiten für die schlüsselfertige Erstellung ihres Wunschhauses einschliesslich aller Nebenkosten. Mit Vorteil holt sie von mehreren Anbietern Offerten ein. Am Schluss hat sie nur noch die Aufgabe, die Offerten zu vergleichen. Sie hat eine Anzahl Häuser mit unterschiedlichen Eigenschaften zur Auswahl. Die Preise liegen verbindlich vor. Sie weiss genügend genau, was sie für die Angebote bekommt, dokumentiert durch Pläne und Baubeschriebe. Vielleicht kann sie sogar Musterhäuser besichtigen.

Mit der Gesamtleistungsausschreibung wird es nun möglich, auch komplexe Bauvorhaben wie Wohnüberbauungen, Geschäftshäuser oder Fabriken ähnlich wie Autos einzukaufen: mit mehreren Offerten, genau definierten Leistungsmerkmalen und verbindlichen Preisen. Vor einer vorschnellen Schlussfolgerung sollten sich interessierte Baulustige aber hüten: Die Aufgaben der Bauherrschaft sind bei diesem Verfahren keineswegs leicht. Wie wir später sehen werden, gibt es darunter sogar ausgesprochen anspruchsvolle Teilaufgaben, namentlich die Ausarbeitung des Pflichtenhefts und den Vergleich der Angebote.