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H. Werkmängel, Mängelrechte und «Selbstverschulden»

Jeder Laie weiss, dass Mängel beim Bauen keine Seltenheit sind. Oft sind nervenaufreibende Verhandlungen damit verbunden: Ist es überhaupt ein Mangel? Wer ist dafür verantwortlich? Wie kann er behoben werden? Wieso muss die Bauherrschaft einen Teil des Schadens übernehmen?

Immer wieder beklagen unzufriedene private Bauherrschaften auch in den Medien das ungenügende Qualitätsdenken beim Bauen bitter. Als Beispiel unter vielen möchte ich einen vergnüglich geschriebenen Erlebnisbericht erwähnen, der 1993 in der angesehenen Wirtschaftszeitung «Finanz und Wirtschaft» zu diesem Thema erschienen ist, vom Verleger persönlich verfasst. Unter dem vielsagenden Titel «Bauen oder Wo bitte geht's zur Klapsmühle?» berichtet er in sieben ganzseitigen Folgen über seine Abenteuer beim Bauen (Finanz und Wirtschaft, Zürich, 25. August bis 10. Oktober 1993).

Es zeigt sich auch in der juristischen Literatur, dass Baumängel im Rechtsalltag ein überaus dominantes Thema sind. Das Standardwerk von Professor Gauch zum Werkvertrag widmet von total gut 700 Seiten knapp die Hälfte dem Problem der Mängelhaftung. - Ganz anders ist die Gewichtsverteilung im vorliegenden Buch, wo ich mich bei der Besprechung der Mängelrechte auf das absolute Minimum beschränke. Viel wichtiger scheint mir zu sein, an mehreren Stellen auf vorbeugende Massnahmen hinzuweisen, um Mängel gar nicht erst entstehen zu lassen. Durch die Wahl geeigneter Planer beispielsweise besteht eine reelle Chance, den Weg zur oben genannten «Klapsmühle» vermeiden zu können.

 

  • Mängel und Mängelrechte

Grundsätzlich haftet ein Unternehmer dafür, dass sein Werk keine Mängel aufweist. Wenn Mängel festgestellt werden, stellt das Gesetz (Art. 368 OR) dem Besteller die drei klassischen Mängelrechte zur Verfügung: die Rechte auf Wandelung (Rücktritt), Minderung (Herabsetzung der Forderung) und Verbesserung. Dazu kommt in allen Fällen das Recht auf Schadenersatz. Es ist eine Besonderheit des Bauwesens, dass der Besteller aus den drei Mängelrechten nicht frei wählen kann, sondern dass ihm gemäss SIA 118 zunächst einzig das Recht auf Verbesserung zusteht (Art. 169 SIA 118). Der Unternehmer hat also immer zuerst die Chance, sein Werk zu verbessern. Erst wenn er innerhalb der angesetzten Frist den Mangel nicht behebt, kommen die anderen Mängelrechte in Betracht.

Der Begriff der Verbesserung wird in der Rechtspraxis nicht allzu eng verstanden. Wenn beispielsweise ein Baumeister eine (nichttragende) Mauer krumm ausführt, die von der Bauleitung nicht abgenommen wird, nützen alle Verbesserungen nichts: die Mauer muss abgerissen und neu aufgebaut werden. Im Sinne des Gesetzes gilt diese Neuherstellung eines Werkteiles trotzdem als Verbesserung.

 

  • «Selbstverschulden des Bauherrn»

Mitten in den Bestimmungen zu Mängelhaftung und Mängelrechten der SIA-Norm 118 befindet sich im Artikel 166 ein unscheinbarer Absatz (Art. 166.4 SIA 118). Darin ist sinngemäss die Rede, dass der Unternehmer bei «Selbstverschulden des Bauherrn» für Mängel nicht hafte. Der unbefangene Leser mag sich fragen, ob diese Bestimmung überhaupt nötig sei, denn es scheine doch ziemlich unwahrscheinlich zu sein, dass ein Bauherr einen Werkmangel selber verschulde. Irrtum! Gemäss meinen Erfahrungen gehören derartige Werkmängel, die gar nicht so selten sind, zu den heikelsten überhaupt.

In der Regel ist es nicht der Bauherr selber, der für das Selbstverschulden verantwortlich ist, sondern der Architekt, welcher als seine «Hilfsperson» gilt. Wenn also der Architekt (oder ein anderer beauftragter Planer) einen Werkmangel verursacht, kann die Bauherrschaft nicht einen Unternehmer belangen, sondern muss sich an ihren Beauftragten halten. Im Abschnitt über den Architektenvertrag habe ich diese auftragsrechtliche Haftung kurz dargestellt (siehe Abschnitt «Weitere Empfehlungen zum Architektenvertrag» im Kapitel 8).

Betrachten wir anhand eines Beispiels, welche finanziellen Konsequenzen ein «Selbstverschulden des Bauherrn» haben kann. Stellen wir uns einen grösseren, bald fertigen Neubau vor. Der Baumeister muss noch einige Betonarbeiten für die Umgebungsgestaltung erstellen. Im letzten Moment bringt der Bauleiter den sehnlichst erwarteten Umgebungsplan auf die Baustelle. Leider weist der Plan ein falsches Mass auf, das der Baumeister jedoch nicht erkennen kann. Als der Bauleiter ein paar Tage später den Baufortschritt genauer überprüft, stellt er fest, dass die Betonmauern am falschen Ort stehen: fast einen Meter neben dem vorgesehenen Standort. Es gibt keine andere Lösung, als einen Presslufthammer zu holen und die Mauern wieder abzubrechen. Gesamthaft ergibt sich ein Schaden von rund 12 000 Fr.

Wie reagiert nun der Bauleiter auf diesen offensichtlichen Schaden? Er hat verständlicherweise kein Interesse daran, dass das Architekturbüro dafür aufkommen soll. Er wird vielleicht versuchen, den Schaden zu vertuschen. Dafür gibt es mindestens folgende zwei Möglichkeiten: (1) Der Bauleiter lässt den Baumeister für den Zusatzaufwand einen Regierapport schreiben. Hier besteht allerdings das Risiko, dass eine aufmerksame Bauherrschaft die Vertuschung bemerkt, wenn sie die kommentarlos eintreffende Regierechnung genauer untersucht. (2) Bauleiter und Baumeister schliessen ein mehr oder weniger stillschweigendes Übereinkommen ab und schmuggeln den Zusatzaufwand gut getarnt in die normale Rechnung ein. Somit erscheint er nicht mehr als Regierapport. Diese Möglichkeit kann weniger gut aufgedeckt werden. - Derartige Vertuschungen passieren gar nicht so selten und gelten in der Baubranche als Kavaliersdelikte. Juristisch sind es aber gravierende Fälle von Vertrauensmissbrauch, die möglicherweise sogar unter den Straftatbestand des Betrugs fallen (Schumacher, in Gauch: Architektenrecht; Seite 202).

 

  • Schutzmassnahmen

Werkmängel, die ein Unternehmer zu verantworten hat, sind im Bauwesen relativ unkritisch, sofern sich der Mangel technisch beheben lässt. Eine kompetente Bauleitung wird in der Regel dafür sorgen, dass der Schaden in Ordnung gebracht wird. Viel heikler sind Mängel, die aus Fehlern (Pflichtverletzungen) des Architekten resultieren. Oft sind es ganz kleine Fehler, die grosse Aus-wirkungen haben können. Hier besteht immer die Möglichkeit, dass der Beauftragte der Versuchung erliegt, den Schaden zu vertuschen. Die Bauherrschaft kann sich nur davor schützen, indem sie die Baustelle kritisch im Auge hat. Es liegt primär an der Bauherrschaft selber, Vertuschungen von Baumängeln zu unterbinden.

I. Garantiefrist, Garantieschein, verdeckte Mängel

So wie industrielle Gebrauchsgüter wie Staubsauger, Armbanduhren und Autos «mit Garantie» verkauft werden, so gibt es den (recht schwammigen) Begriff der Garantie auch im Werkvertragsrecht und damit im Bauwesen. Unter der Garantie eines Unter-nehmers ist die Verpflichtung zu verstehen, Mängel am ausgeführten Werk während der Garantiefrist zu beheben. Bestimmungen zur Garantie und damit zusammenhängenden Fragen finden sich in den Artikeln 172 bis 182 der SIA-Norm 118.

 

  • Garantiefrist, Rügefrist

Im Bauwesen besteht normalerweise eine Garantiefrist von zwei Jahren (Art. 172 SIA 118), was als recht grosszügig zu betrachten ist. Sie beginnt mit der Abnahme zu laufen, wobei zu beachten ist, dass jedes Werk (Storen, Küche etc.) einen unterschiedlichen Abnahmetermin haben kann. Somit gibt es auch verschiedene Endzeitpunkte der Garantiefrist. Während der Garantiefrist kann die Bauherrschaft Mängel jederzeit rügen (Art. 173 SIA 118). Gegenüber dem Gesetz, das eine sofortige Mängelanzeige fordert (Art. 370 OR), bedeutet dies eine Besserstellung. Eine Ausnahme besteht lediglich bei Mängeln, die weiteren Schaden verursachen können wie etwa ein undichtes Dach. Derartige Mängel sind sofort zu rügen.

Obige Formulierung zur Mängelrüge ist so zu interpretieren, dass (die erwähnte Ausnahme vorbehalten) entdeckte Mängel sofort gerügt werden können, aber nicht müssen. In der Praxis wird meistens nicht sofort gerügt, sondern an zwei bestimmten Zeitpunkten. Eine erste Liste von Mängeln wird bei der Übergabe des Bauwerks an die Bauherrschaft erstellt, eine zweite vor Ablauf der Garantiefrist (Rügefrist), der sogenannten Schlussabnahme. Werke aus dem Gebiet der Haustechnik, die wie beispielsweise die Heizung eine längere Optimierungsphase benötigen, können nämlich teilweise erst auf den Zeitpunkt der Schlussabnahme richtig geprüft werden (und nicht bereits bei der Übergabe). Siehe dazu auch das an anderer Stelle angegebene Beispiel über die projektbezogene Qualitätssicherung in der Wärmetechnik (siehe Absatz «Projektbezogene Qualitätssicherung in der Wärmetechnik»).

Die Leitung der Garantiearbeiten liegt gemäss der Honorarordnung SIA 102 beim Architekten, und er ist auch verantwortlich, dass die zweijährige Rügefrist eingehalten wird. Als zusätzliche Sicherheit kann es sinnvoll sein, dass sich die Bauherrschaft die Liste mit den Ablaufdaten der Garantiefristen der Werke geben lässt.

Zur Erinnerung sei nochmals erwähnt, dass während der Garantiefrist Mängel nicht mehr gerügt werden können, die der Bauleitung (oder der Bauherrschaft) bei der Abnahme bekannt gewesen, aber nicht gerügt worden sind. Bei der Abnahme werden daher lieber zu viele Mängel gerügt als zu wenige.

 

  • Garantieschein

Für industrielle Serienprodukte wie etwa einen Staub-sauger erhält man in der Regel eine Fabrikgarantie. In der Bauwirtschaft haben sich andere Usancen entwickelt. Es wird verlangt, dass der Unternehmer für seine Haftung während der Garantiefrist eine Sicherheit zu leisten hat (Art. 181 SIA 118). Der Normalfall der Sicherheitsleistung ist die Solidarbürgschaft einer Bank oder Versicherung. Dadurch erhält die Bauherrschaft die Gewissheit, dass für Mängel auch dann gehaftet wird, wenn der Unternehmer Konkurs geht oder stirbt. Der Haftungsbetrag beläuft sich normalerweise auf 10% der Abrechnungssumme. Die Garantiescheine werden meistens bis zum Erlöschen (Ablauf der Garantiefrist) vom Architekten verwaltet. - Eine andere Art der Sicherheitsleistung ist die Bargarantie (von z. B. 10% der Abrechnungssumme), die allerdings heute etwas antiquiert ist.

 

  • Verdeckte Mängel

Für verdeckte Mängel geht die Mängelhaftung des Unternehmers nach Ablauf der Garantiefrist weiter (Art. 179 SIA 118). Derartige Mängel sind sofort zu rügen. Der Unternehmer haftet aber nicht für Mängel, die die Bauherrschaft schon vor Ablauf der Garantiefrist hätte erkennen können. Es ist darum wichtig, dass die Schlussabnahme sorgfältig und zeitgerecht durchgeführt wird.

Mängelrechte verjähren fünf Jahre nach der Abnahme des Werkes. Die Verjährungsfrist erhöht sich auf zehn Jahre, wenn der Unternehmer den Mangel absichtlich verschwiegen hat (Art. 180 SIA 118).

Das Allerwichtigste zu Werkverträgen - ganz kurz

 

  • 1. Vertragsgrundlage

Die «Handwerkernorm» SIA 118 ist in den meisten Fällen die Grundlage für Werkverträge im Bauwesen. Obwohl sie sehr weit verbreitet ist, ist sie eine private Schöpfung und kein Gesetz. Geschickte Anwender passen sie an, um die Interessen der Bauherrschaft optimal zu wahren. - Bei kleineren Bauvorhaben kann eventuell der «Bauvertrag» (siehe «Bauvertrag») des Schweizerischen Hauseigentümerverbandes als Vertragsgrundlage dienen: er ist mustergültig knapp und genial einfach.

 

  • 2. Regiearbeiten

Regiearbeiten sind unbeliebt, weil sie von der Bauherrschaft kaum kontrolliert werden können. Mit guten Ausschreibungsunterlagen lassen sie sich weitgehend vermeiden. Die Bauherrschaft hat es in der Hand, bei unerlässlichen Regiearbeiten zusätzliche Kontrollmassnahmen vorzusehen. Näheres siehe Absatz «Vergütung der Leistungen - fest oder ungefähr?».

 

  • 3. Bauhandwerkerpfandrecht

Beim Bauhandwerkerpfandrecht lauern für die Bauherrschaft erhebliche potentielle Gefahren, zunehmend auch beim Bauen ohne Generalunternehmer. Sie können aber durch entsprechende Schutzmassnahmen reduziert werden. Näheres siehe Ausführungen über Bauhandwerkerpfandrecht in Kapitel 11 (Einzelunternehmer): «Das Bauhandwerkerpfandrecht» und Kapitel 12 (Generalunternehmer): «Das Bauhandwerkerpfandrecht und die Erfüllungsgarantie».

 

  • 4. Bestellungsänderungen

Es ist im Bauwesen (zu) einfach, Bestellungen zu ändern. Die Bauherrschaft soll darauf bestehen, dass abgeschlossene Werkverträge nur mit ihrer Zustimmung geändert (ergänzt) werden können. Dies betrifft insbesondere Bestellungsänderungen mit finanziellen Verpflichtungen. Näheres siehe Absatz «Bestellungsänderungen».

 

  • 5. Schlussabrechnung

Die Schlussabrechnung wird von der Bauleitung wohl sorgfältig geprüft - aber nicht genehmigt. Das letzte Wort soll die Bauherrschaft haben. Nur sie kann finanzielle Forderungen anerkennen - oder bestreiten. Näheres siehe «Schlussabrechnung».