Buchanfang | Inhaltsverzeichnis | Kurzbeschreibung | Reaktionen | Printausgabe Startseite Bücher

Startseite
Bauherrenberatung
Referenzprojekte
Spontanberatung
Kontakt
Bauinfos / Links
<< eigene Bücher

Vom Dschungel der Gesetze und Normen bei der Bauausführung

Bei der Ausführung von Bauwerken steht ein juristischer Begriff absolut im Zentrum: der Werkvertrag. Vertragliche Abmachungen zwischen der Bauherrschaft auf der einen Seite und Baumeister, Elektriker oder Gipser auf der anderen Seite sind klassische Werkverträge. Allerdings gibt es eine ganze Menge von Gesetzen, Normen, Ordnungen und Empfehlungen, die alle irgendwie mit dem Werkvertragsrecht in der Bauwirtschaft zu tun haben. Was wir daher zuerst brauchen, ist ein Überblick. Wie findet man sich im Dschungel der Gesetze und Normen zurecht?

Von der «Normitis» im Werkvertragsrecht

Für Laien ist es völlig unübersichtlich, was an Gesetzen und Normen vorhanden ist und allenfalls berücksichtigt werden muss, wenn eine Bauherrschaft mit einem Unternehmer einen Werkvertrag abschliessen will. Doch der Laie mag sich trösten: Auch viele gestandene Baufachleute dürften hinter vorgehaltener Hand zugeben, dass das Werkvertragsrecht etwas ist, was sie nur zum Teil durchschauen. Der Hauptgrund dafür ist die verwirrende Anzahl privater Normen, vorwiegend vom SIA. Im Dickicht der Normen, wie nützlich sie im Einzelfall auch sein mögen, verliert man schnell die Orientierung. Einer der profiliertesten zeitgenössischen Rechtsgelehrten zum Werkvertragsrecht, Professor Gauch von der Universität Freiburg, hat das emsige Normieren denn auch schon als «Normitis» bezeichnet. Durch die Vielzahl der Normen wird nämlich das verdrängt, was der Ursprung und Kern ist des Werkvertragsrechts: das Gesetz (und insbesondere das Obligationenrecht).

 

  • Am Anfang ist das Obligationenrecht

Der Werkvertrag ist, wie viele andere Vertragstypen auch (beispielsweise der Auftrag), im Obligationenrecht (OR) geregelt. Ein Werkvertrag liegt dann vor, wenn ein Unternehmer für einen Besteller ein vorher genau vereinbartes Werk herstellt. Im Unterschied zu einer Kaufsache ist ein Werk ein Unikat, das speziell angefertigt werden muss. Ob der Unternehmer das Material liefert, ist zweitrangig, immer aber leistet er Arbeit. Werkverträge sind im Alltag viel häufiger, als man gemeinhin annimmt. Gemäss Gesetz sind beispielsweise Autoreparaturen und Coiffeurdienstleistungen als Werkverträge zu betrachten: wer sich die Haare schneiden lässt, schliesst demnach mit dem Coiffeur einen Werkvertrag ab (vermutlich allerdings nur stillschweigend).

Das Obligationenrecht ist ein sehr knapp gehaltenes Gesetz. Speziell trifft dies auf den Werkvertrag zu, dem ganze fünfzehn Artikel (Art. 363 bis 379 OR) gewidmet sind. Für einfache Werkverträge wie den erwähnten Haarschnitt reichen diese wenigen Bestimmungen aus. Für das Baugewerbe allerdings, eines der wichtigsten Anwendungsgebiete des Werkvertragsrechts, sind die paar Artikel schon etwas knapp. Seit Jahrzehnten gibt es daher in der Bauwirtschaft eine privat ausgearbeitete Präzisierung zum Gesetz: Die «Allgemeinen Bedingungen für Bauarbeiten» in Form der berühmten SIA-Norm 118.

 

  • Die «Handwerkernorm» SIA 118

Die SIA-Norm 118 (Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten) wird auch als «Handwerkernorm» bezeichnet. Sie ist kein Gesetz, sondern ein privates juristisches Hilfsmittel. Die Norm soll «den Abschluss und die Gestaltung der Verträge erleichtern» und bewirken, «dass im Bauwesen möglichst einheitliche Vertragsbedingungen verwendet werden» (Präambel zur SIA-Norm 118). In diesem Sinne ist die SIA-Norm 118 als spezieller Fall von Allgemeinen Vertragsbedingungen zu verstehen, indem der Rechtsverkehr einer ganzen Branche geregelt werden soll: sie ist eine «Branchenbedingung». Ihre vorformulierten Ver-tragsbestandteile erlangen erst Rechtsgeltung, wenn sie, teilweise oder gesamthaft, in den konkreten Vertrag übernommen werden.

Die SIA-Norm 118 ist sehr ausführlich und enthält 190 Artikel. Die heute gültige Fassung stammt aus dem Jahr 1977 (mit geringfügigen Präzisierungen im Jahr 1991). Da sie im Bauwesen eine ungeheure praktische Bedeutung hat, betrachten wir sie im nächsten Abschnitt ausführlicher. Vorerst führen wir aber den Streifzug durch den juristischen Dschungel weiter: mit den Spezialnormen.

 

  • Spezialnormen

Zusätzlich zur SIA-Norm 118, die in praktisch jeden Werkvertrag als mitgeltender Bestandteil übernommen werden kann, gibt der SIA eine ganze Reihe von Spezialnormen heraus, die nur für einzelne Bauteile oder Arbeitsgattungen von Belang sind. Es gibt beispielsweise Spezialnormen für Aufzugsanlagen, Pfahlfundationen, Malerarbeiten, Fenster und viele weitere Gebiete. Sie enthalten Vereinbarungen zur Qualität, Präzisierungen zu den kaufmännischen Usancen und anderes mehr. Teilweise gehen aus den Spezialnormen auch jene gesicherten Erkenntnisse hervor, die für das betreffende Gewerbe als «anerkannte Regeln der Baukunst» gelten.

Eine beliebige dieser Spezialnormen wollen wir herausgreifen und etwas genauer anschauen: die SIA-Norm 342 für Sonnen- und Wetterschutzanlagen. Sie besteht, wie andere Normen zu einzelnen Arbeitsgattungen, aus einem technischen und einem organisatorischen Teil. Im technischen Teil findet man unter anderem Vereinbarungen zu zulässigen Massabweichungen (Toleranzen) oder Anforderungen an die verwendeten Materialien. Im organisatorischen Teil wird beispielsweise definiert, welche Leistungen in den Offertpreisen einzurechnen sind und für welche Zuschläge verlangt werden können (z. B. Zuschlag für Montage ohne Gerüst ab 3 m Arbeitshöhe). Im organisatorischen Teil der Spezialnorm 342 finden sich ebenfalls Vereinbarungen zu den Zahlungsbedingungen, und zwar folgende: fällig sind 30% bei Vertragsabschluss, 30% bei der Lieferung auf die Baustelle, 30% nach der Montage sowie der Rest gemäss SIA 118.

 

  • Wirrwarr

Es ist nicht unproblematisch, die zahlreichen SIA-Normen schematisch in Werkverträge zu übernehmen. Schauen wir das am Beispiel eines Werkvertrags für Storen an. Nehmen wir an, in der Vertragsurkunde sei vereinbart, dass die Normen SIA 118 («Handwerkernorm») sowie SIA 342 (Sonnen- und Wetterschutzanlagen) vollumfänglich als Vertragsbestandteile übernommen werden. Nehmen wir weiter an, dass das Architekturbüro allen Werkverträgen routinemässig das bürointerne Schriftstück «Besondere Bedingungen des Architekturbüros» beilegt, das ebenfalls Gültigkeit erlangen soll. Dieses Dokument enthält unter anderem einen Passus zu den Zahlungsbedingungen. Wie die Erfahrung zeigt, sind speziell auf dem Gebiet des Zahlungswesens der Phantasie keine Grenzen gesetzt (längere Zahlungsfristen, Vorfinanzierung, Gegengeschäfte, Bargarantie, Bezahlung in WIR etc.). Im gleichen Vertrag befinden sich nun zwei unterschiedliche Versionen von Zahlungsbedingungen: die «besonderen» des Architekturbüros und die branchenüblichen gemäss der Norm 342. Schon haben wir den Wirrwarr.

Streng juristisch wird sich der Knoten vermutlich lösen lassen, indem im Vertrag ebenfalls vereinbart ist, nach welcher Rangordnung Vertragsbestandteile gelten, die sich widersprechen. Beispielsweise gehen individuelle Abreden den vorformulierten Klauseln immer vor. Damit ist der Bauherrschaft aber nur vordergründig gedient. Grundsätzlich unbefriedigend ist für sie nämlich der verwirrende Dschungel, gebildet aus Normen, Spezialnormen, bürointernen «besonderen» Bedingungen und vielleicht auch noch Bedingungen des Unternehmers. Ihr fehlt die Übersicht. Selbst wenn sie über den Inhalt aller Normen genau im Bild wäre, wüsste sie nur nach langem und mühsamem Studium aller Vertragsbestandteile, was nun effektiv vereinbart worden ist. Auf welche Punkte ist die «Handwerkernorm» SIA 118 anzuwenden und auf welche eine Spezialnorm (z. B. SIA 342)? Wann sind die «besonderen» Bedingungen des Architekturbüros massgebend? Und wo schliesslich (falls überhaupt) gilt eigentlich noch das Gesetz (OR)?

Es wird aber noch bunter. Nichtprofessionelle Bauherrschaften haben nicht nur keine Ahnung, wann welcher Vertragsbestandteil gilt, sie wissen in der Regel auch nicht, was überhaupt in den Normen steht, die sie in ihren Verträgen als anwendbar erklären. Ich vermute, dass es in der Schweiz noch nie eine nicht sachkundige Bauherrschaft gegeben hat, die alle Normen gelesen hat und der voll bewusst gewesen ist, welche Verträge sie eigentlich eingegangen ist.

Die Erfahrung zeigt zwar, dass dieses Nichtwissen über Gesetze und Normen für Gelegenheitsbauherren nur erstaunlich selten negative Folgen hat. Aber reicht dies aus, um mit der heutigen unübersichtlichen Situation zufrieden zu sein?

 

  • Teure Normen

Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt scheint mir in diesem Zusammenhang zu sein, dass die Normen relativ viel Geld kosten. Kein Vorwurf ist dabei dem SIA zu machen, der einen grossen Teil der Normen herausgibt. Im Gegenteil ist es so, dass die Mitglieder in den Normengremien, meist hochkarätige Experten, ohne Entschädigung arbeiten. Trotz dieser Fronarbeit sind die Normen recht teuer. Gemäss meinen Erfahrungen ist eine durchschnittliche Bauherrschaft nicht so ohne weiteres bereit, dafür tief in die Taschen zu greifen. Die «Handwerkernorm» SIA 118 etwa (Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten), die in der Schweiz jährlich Bestandteil von mehreren zehntausend Werkverträgen ist, kostet beim SIA für Nichtmitglieder zurzeit 136 Fr. Für das gesamte SIA-Normenwerk, das mehrere Kilos wiegt, müssen Tausende von Franken ausgelegt werden. Immerhin ist es neuerdings auch auf CD-ROM verfügbar (Preis 3 300 Fr.; Stand 1998).

Meiner Ansicht nach wäre die Idee prüfenswert, die Preise der Normen differenzierter anzusetzen. Die wichtigsten Normen, mit denen Bauherren konfrontiert sind, sollten günstiger sein, insbesondere die Honorarordnungen sowie die «Handwerkernorm» SIA 118. Ideal wäre sogar, wenn sie kostenlos abgegeben würden, so wie beispielseise in der Versicherungsbranche jeder Vertragsurkunde (Police) die Allgemeinen Geschäftsbedingungen automatisch gratis beigelegt werden. Diesbezüglich verhält sich der Verband der Schweizerischen Generalunternehmer (VSGU) sehr geschickt, der für seine Allgemeinen Vertragsbedingungen AVB nichts verlangt.

Einfache Werkverträge bei kleinen Bauvorhaben

Bei grossen Bauvorhaben wie etwa einem Alpentunnel ist der oben geschilderte Aufwand mit den vielen SIA-Normen durchaus gerechtfertigt. Bei kleineren Projekten allerdings sind Fragezeichen angebracht. Nachstehend gehen wir auf eine ganz andere und radikal einfachere Möglichkeit ein, wie Werkverträge in der Baubranche abgeschlossen werden können.

 

  • Der «Bauvertrag»

Seit 1986 gibt es einen Mustervertrag, der speziell für kleine Bauvorhaben entwickelt worden ist: den sogenannten «Bauvertrag» des Schweizerischen Hauseigentümerverbandes in Zürich (3. Auflage 1993). Er kostet nur einige Franken. Auch Laien können damit umgehen, die ohne Architekt Bauarbeiten (vorwiegend Umbauten oder Renovationen) ausführen lassen wollen. Der «Bauvertrag» ist konzipiert worden von Dr. Reber, dem Verfasser des bekannten Rechtshandbuches für die Baubranche (siehe «Literaturverzeichnis»).

Der «Bauvertrag» kommt ohne SIA-Normen aus. Dadurch muss er den ganzen Ballast nicht mitschleppen, der insbesondere in der SIA-Norm 118 enthalten ist und nur bei grossen Bauprojekten gebraucht wird. Bei kleinen Bauvorhaben ist es beispielsweise meistens völlig überflüssig, über die Bauteuerung Vereinbarungen zu treffen: sie wird schlicht wegbedungen. In der SIA-Norm 118 dagegen sind zum Thema Bauteuerung nicht weniger als neunzehn teilweise recht umfangreiche Artikel enthalten. Dies ergibt allein zur Bauteuerung einen Textumfang, der grösser ist als das gesamte Werkvertragsrecht im Obligationenrecht. Der «Bauvertrag» dagegen zeichnet sich durch eine exemplarische Knappheit aus. Die gesamten, keineswegs unvollständigen Vertragsbedingungen haben bequem auf der Rückseite des Vertragsformulares Platz.

Dem «Bauvertrag» liegt die interessante Annahme zugrunde, dass alle Bauarbeiten dem gleichen Unternehmer übertragen werden, und zwar zu einem pauschalen Preis. Für eine Dachsanierung kann es beispielsweise der Dachdecker sein. Er wird dadurch zu einem kleinen Generalunternehmer, der (nach vorgängiger Absprache mit der Bauherrschaft) in eigenem Namen weitere Subunternehmer wie Spengler oder Zimmermann beizieht. Der Hauptunternehmer ist auch für die Bauleitung besorgt. Wer gar nichts anbrennen lassen will, findet im «Bauvertrag» sogar konkrete Formulierungen zu Konventionalstrafen. Gesamthaft gesehen, empfiehlt es sich durchaus, den «Bauvertrag» bei kleineren Bauvorhaben anzuwenden.

 

  • Werkverträge per Handschlag

Noch einfacher als der «Bauvertrag» ist der Werkvertrag per Handschlag: ohne Auftragsbestätigung, ohne Vertragsurkunde, ohne Normen. Rein rechtlich ist es selbstverständlich zulässig, Werkverträge mündlich abzuschliessen. Der Werkvertrag kommt zustande, indem der Besteller mündlich akzeptiert, eine vom Unternehmer ausgearbeitete (schriftliche) Offerte anzunehmen. Manchmal verzichtet man sogar auf die Offerte und lässt Bauarbeiten (Maler, Sanitär etc.) in Regie ausführen, ohne die Konditionen im Detail abzusprechen.

Gelegentlich wickle ich kleinere private Projekte so ab, und ich habe noch nie Probleme gehabt damit. Ich schätze diese altertümliche, fast archaische Art des Bauens, wo Berufsstolz und Korrektheit alles sind und Nepp keinen Raum hat. Man sollte es allerdings nur mit Personen tun, die lange genug bewiesen haben, dass man ihnen vertrauen darf. Im Streitfall kann man nämlich ohne schriftliche Dokumente (Verträge, Nachtragsbestellungen, Protokolle etc.) arg in Beweisnotstand geraten.

Es ist eine Binsenwahrheit, dass Verträge nicht besser sein können als die Vertragspartner. Aus diesem Grund ist mir wohler dabei, einen mündlichen Vertrag (sogar ohne Offerte) mit einem loyalen Handwerker abzuschliessen als einen sogenannt wasserdichten Vertrag mit einem Unternehmer, der seine Unberechenbarkeit schon oft bewiesen hat.