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Die Frage nach der Genauigkeit

Im Kapitel 6 über das Pflichtenheft haben wir festgestellt, dass selbst bei komplexen Bauvorhaben die Kosten bereits dann abschätzbar sind, wenn am Projekt noch kein Strich gezeichnet ist und lediglich das Raumprogramm vorliegt . Die Genauigkeit der Kostenaussage ist von der Art des Bauvorhabens abhängig und beträgt beispielsweise 25%; in Einzelfällen sind aber auch sehr viel genauere Prognosen möglich (siehe Abschnitt «Mit dem Pflichtenheft sind die Baukosten weitgehend bestimmt»).

 

Beispiel für die Genauigkeit der Kostenermittlung in Abhängigkeit vom Projektstand

Ziel für die Baueingabe: Genauigkeit +/- 10%

Der nächste entscheidende Schritt nach dem Pflichtenheft ist für die Bauherrschaft das genehmigte Bauprojekt und, damit verbunden, die Baueingabe. Meiner Ansicht nach ist es unbedingt anzustreben, dass zu diesem Zeitpunkt die Kosten auf 10% angenähert sein sollen. Mit der Baueingabe ist das Projekt nämlich juristisch weitgehend fixiert, und Aenderungen sind nicht mehr so einfach möglich. Die Baueingabe ist daher aus der Sicht der Bauherrschaft ein ganz entscheidender Schritt, auch wenn es noch nicht ein unwiderruflicher Baubeschluss ist. Aber im Normalfall hat die Bauherr-schaft doch die ausdrückliche Absicht, das eingereichte Projekt auszuführen. Die Investitionsrechnung beruht auf dem Baueingabeprojekt und der dazugehörenden Kostenermittlung. Im wesentlichen wird somit der Investitionsentscheid aufgrund des Kostenstandes beim Bauprojekt gefällt, nicht juristisch, aber de facto. Wenn die Kosten in einer späteren Projektphase nochmals ansteigen, geht die Investitionsrechnung nicht mehr auf. Was dann?

 

  • Ein Beispiel

Nehmen wir an, eine Bauherrschaft erhalte von ihrem Architekten für das ausgearbeitete Projekt ihres Einfamilienhauses eine Kostenschätzung, die auf einer kubischen Berechnung basiert. Die Anlagekosten werden mit rund 500 000 Fr. angegeben bei einer Genauigkeit von +/- 20%. Die Bauherrschaft ist optimistisch und rechnet sich aus, sie mit etwas Disziplin auf 400 000 Fr. herunterdrücken zu können. Es kommt aber ganz anders, und der Kostenvoranschlag kurz vor Baubeginn beträgt 600 000 Fr. Mit dieser Zahl kann der Architekt sein Gesicht gerade noch wahren, hat er doch nie mehr als 20% Kostenabweichung versprochen. Aber für den Bauherrn sieht es trist aus, denn die mutmasslichen Kosten liegen 50% höher als sein Wunschbudget von 400 000 Fr.

 

  • Fazit

Derart unzuverlässige Zahlen sind natürlich für Bauwillige keine grosse Hilfe. Die Kostenangabe bei der Baueingabe muss daher auf 10% genau sein. In den letzten Jahren hat sich ein neues Instrument für die Kostenplanung etabliert, mit dem dieser Anspruch erfüllt werden kann: die Kostenermittlung mit der Elementmethode.

Ziel für den Kostenvoranschlag: Genauigkeit +/- 5%

Lassen wir jetzt in Gedanken einige Wochen oder Monate verstreichen. Die Baubewilligung ist erteilt worden. Die Finanzierung ist geregelt. Die Werkpläne für den Rohbau sind in Arbeit. Was noch fehlt, ist das Startsignal für den Baubeginn. Dazu braucht es einen Kreditantrag, den man im Bauwesen traditionellerweise als Kostenvoranschlag bezeichnet. Mit der Genehmigung des Kostenvoranschlags wird der Kredit für die Bauausführung freigegeben.

Nach altem Brauch ist der Kostenvoranschlag (KV) im Bauwesen auf 10% genau. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren allerdings etwas geändert. Mit dem neuen Instrument der Elementmethode ist es nicht nur möglich, die Kosten bereits bei der Baueingabe auf 10% genau zu ermitteln, das Projekt wird zusätzlich schon auf diesen Zeitpunkt kostenmässig optimiert. Man ist deshalb nicht mehr auf den Kostenvoranschlag angewiesen, um endlich eine Kostenaussage mit Hand und Fuss zu haben. Als Konsequenz davon hat sich in den letzten Jahren die Usanz entwickelt, den KV so spät wie möglich zu terminieren, und zwar erst unmittelbar vor den Baubeginn. Dies hat den Vorteil, dass die Kosten schon sehr genau absehbar sind. Für die Rohbauarbeiten und einen grossen Teil der Installationen können die Preise bereits aus den vergebungsreifen Offerten entnommen werden. Lediglich für die Arbeitsgattungen der späteren Phasen der Bauausführung müssen die Kosten noch geschätzt werden. Für den Kostenvoranschlag als Ganzes kann eine Genauigkeit von +/- 5% angenommen werden.

Der späte Kostenvoranschlag ist nicht mehr ein Hilfsmittel für Planung und Kostenoptimierung, was er früher gewesen ist, sondern nur noch die sichere Basis für die Kreditfreigabe und insbesondere die Grundlage für die Kostenüberwachung während der Bauausführung.

Die zeitliche Verschiebung des Kostenvoranschlags hat Auswirkungen auf die Honorare der Bauplaner. Beim Architekten beispielsweise umfasst die Planungsphase nur noch einen Leistungsanteil q von 28% (statt 35%), sofern das Honorar im Kostentarif gemäss der SIA-Honorarordnung 102 bemessen wird. Dafür nimmt das Gewicht der Ausführungsphase zu (vgl. Leistungstabelle im Abschnitt «Die Honorarberechnung im Kostentarif» im Kapitel 8).

Ueberholte SIA-Honorarordnungen 102 ff.

Die SIA-Honorarordnungen 102 ff., die in der Praxis überaus wichtig sind, enthalten Angaben zur Art der Kostenermittlung bei der Bauplanung. Im Kapitel 9 sind wir anhand der SIA-Honorarordnung 102 (Architekten) bereits näher darauf eingegangen (siehe Abschnitt «Vom Vorprojekt zur Baueingabe»). Für das Bauprojekt und damit die Baueingabe ist eine Kostenschätzung mit einer Genauigkeit von lediglich +/- 20% vorgesehen. Eine Kostenaussage mit Genauigkeit +/- 10% ist in Form des Kostenvoranschlags erst nach den anschliessenden Detailstudien möglich Wir können somit das Fazit ziehen, dass die SIA-Honorarordnungen wesentlich weniger Genauigkeit fordern, als wir oben postuliert haben.

Im historischen Rückblick hat das Prinzip der Kostenermittlung gemäss den SIA-Ordnungen 102 ff. natürlich seine Berechtigung. Bei der heutigen computerunterstützten Planungsarbeit ist es jedoch nicht mehr zeitgemäss, und der SIA wird sich überlegen müssen, die Anforderungen an die Genauigkeit zu ändern. Der moderne Entwerfer zeichnet am Computer nicht bloss Linien, sondern er kombiniert «intelligente» Bauteile. Entwurf und Detailplanung geschehen mehr oder weniger gleichzeitig und nicht phasenverschoben. Somit ist schon auf der Basis eines Bauprojektes eine Kostenaussage möglich, die (wenigstens in den Grundzügen) auf Detailstudien basiert. Konkret bedeutet dies eine Genauigkeit von +/-10%.

Das neue Honorarmodell des SIA, das Leistungsmodell 95 (siehe Abschnitt «Spezielle Vertragsformen» im Kapitel 8), enthält im Unterschied zu den alten SIA-Honorarordnungen 102 ff. keine vorformulierten Angaben zur Genauigkeit mehr. Hier wird die verlangte Präzision durch die Vertragspartner projektbezogen festgelegt.